Valentin

singulärer Ventrikel, Pulmonalatresie, komplette Lungenvenenfehlmündung mit Obstruktionen, Malposition der großen Arterien

 

 

Mit meinem Bericht möchte ich Eltern, deren Baby mit der Diagnose komplexer Herzfehler geboren wurde, Mut machen.
Wie so viele Vorstellungen hier könnte auch meine mit „Nach einer unkomplizierten Schwangerschaft...“ beginnen. Bei den zahlreichen Ultraschalluntersuchungen während der Schwangerschaft wurde nie der Verdacht einer Fehlbildung geäußert – keine Auffälligkeiten. Valentin kam am 25. September 2001 zur Welt, alles verlief nach Plan. Da ich bei unserem älteren Sohn schon keine Wehen bekam, wurde nach Überschreiten der 41. SSW eine erneute Sectio geplant.

Für uns stand also fest: ab dem 25.09. würden wir Eltern zweier Buben sein. Alles ging glatt – bis zur 7. Lebensstunde unseres Valentins, der nur kurz nach der Geburt wach war und ansonsten tief und fest schlief. Eine Kinderkrankenschwester kam in unser Zimmer und beharrte darauf, dass ein Kinderarzt einen Blick auf unseren Sohn werfen sollte, seine wechselnde Hautfarbe gefiel ihr nicht.

Sie nahm ihn also mit und ich dachte bei mir, dass die Schwester wohl ein bisschen übervorsichtig sei... Kurz darauf kam der Kinderarzt mit einer niederschmetternden Diagnose: Er konnte nur eine Herzkammer im Ultraschall erkennen! Außerdem, so hieß es im Arztbericht, "verfiel das Neugeborene zusehends" – die Sauerstoffsättigung lag zwischen 30 und 60 %.

Valentin wurde sofort mit dem Neugeborenennotarztwagen auf die Intensivstation im Deutschen Herzzentrum München gebracht.
Eine Welt brach zusammen. Vor mir saßen meine Eltern, mit Päckchen in der Hand, wollten den Neuankömmling sehen und dann kommt ein Arzt und erklärt mir, dass Valentin schwerstkrank sei...

Mein Mann machte sich sogleich auf dem Weg ins Herzzentrum und auch mich hielt nach einer grauenhaften Nacht nichts mehr im Krankenhaus: Trotz Kaiserschnitts ging ich einen Tag darauf heim. Natürlich führte der erste Weg zu Valentin und ich war schockiert:
das sollte mein Kind sein? Mit Prostaglandin wurde der Ductus, der seine einzige Verbindung von der Lunge zum Herzen darstellte und sich nach der Geburt normalerweise verschließt, offen gehalten. Das Prostaglandin ließ Valentin Wasser einlagern. Seine Augenlider waren so aufgeschwemmt, dass er die Augen nicht öffnen konnte. Er wurde beatmet und war an einen Monitor angeschlossen, der andauernd Alarm gab, dann noch das Zischen des Beatmungsgeräts – dies sollte unsere Geräuschkulisse für einige Zeit werden....

Im Alter von drei Tagen wurde zur genaueren Abklärung des Herzfehlers ein Herzkatheter gemacht. Das Ergebnis war ein so komplexer Herzfehler (singulärer Ventrikel, Malposition der großen Arterien, Pulmonalatresie, komplette Lungenvenenfehlmündung mit Obstruktionen, Heterotaxie mit Rechtsisomerie), dass der Arzt uns dringend anriet, die lebenserhaltende OP nicht durchführen zu lassen und unserem Sohn so unnötiges Leid zu ersparen.

Doch dies kam für uns nicht in Frage. Valentin sollte seine Chance bekommen.

Am 2. Oktober wurde in einer vierstündigen Operation ein aertopulmonaler Shunt gesetzt, der nun die Funktion des offenen Ductus übernehmen, also für die Verbindung von Herz und Lunge sorgen sollte. Au&stlig;erdem wurde die Lungenvenenfehlmündung mit einer Anastomose der Sammelvenen mit dem linken Vorhof funktionell korrigiert.

Valentin überstand die OP gut, nach einem erfolglosen Extubationsversuch am zweiten postoperativem Tag kam er am Tag darauf von der Beatmung weg.

Sorgen bereiteten die immer wieder auftretenden Tachykardien und Extrasystolen, so dass erst versucht wurde, Valentin auf Digitalis einzustellen, was allerdings weitere Rhythmusstörungen auslöste. Als nächstes Medikament der Wahl wurde er auf Sotalex eingestellt.

Die Tricuspidalklappe stellte sich als insuffizient heraus, so dass man einen ACE-Hemmer einsetzte: Captopril. Am 30. postoperativen Tag durfte Valentin endlich heim.

Die Nahrungsaufnahme, die sich in der Klinik eher zögerlich gestaltete, erlebte daheim eine komplette Wandlung: Valentin trank mit Begeisterung, nachdem ich von HA-Nahrung auf HIPP 1 umgestellt hatte. Eine Sorge weniger!
Entgegen ärztlicher Prognosen nahm unser kleiner Kämpfer gut zu und entwickelte sich normal. Ich konnte keine Tachykardien beobachten und auch die Extrasystolen ließen nach und verschwanden dann ganz.

Seine Sättigungen lagen bei den engmaschigen Kontrollen im Herzzentrum immer um die 83 %, es ging ihm so gut, dass wir im April 2002 zwei Wochen Urlaub auf den Kanaren machen konnten.

Doch der nächste Kontrolltermin verhieß nichts Gutes – was schon lange erwartet wurde, trat ein: der Shunt wurde zu klein, die Sättigung lag nur noch bei 75 %. Zwei Wochen darauf bekamen wir einen Termin zum Herzkatheter, der die Vermutungen nur bestätigte und auch noch eine Stenose der linken Pulmonalis in Höhe des Shunts zutage beförderte. Außerdem stand nun fest, dass eine Korrektur unmöglich war: Valentin besitzt praktisch keine linke Herzkammer; die Ventrikelsitution war also unbalanciert. Viel Hoffnung auf die Möglichkeit einer Korrektur, d.h. das Erstellen einer Herzscheidewand aus Plastikimplantat hatten wir nicht gesetzt, aber nun wussten wir mit Gewissheit, dass eine PCPC ( P artielle C avo- P ulmonale C onnection, Variante der Glenn-OP) vorgenommen werden musste.

Außerdem sollte die Stenose mit einem Patch erweitert werden und die Tricuspidalklappe mit einer Klappenplastik stabilisiert werden.
Der Termin für die OP sollte bald sein, denn Valentins Sättigungen kletterten kaum noch auf über 75 %.
Am 19. August sollte Valentin operiert werden. Sollte, denn am Tag davor bekam er Fieber, dessen Ursache nicht ersichtlich war. Zur Erheiterung aller sollte ich den Mittelstrahlurin fangen – bei einem Säugling ist das keine so einfache Sache...
Es wurden aber weder im Urin noch sonst wo Bakterien oder eine Infektion festgestellt, nur die Entzündungswerte waren leicht erhöht. So begann ein fröhliches OP-Termin-Verschieben: Von Montag auf Dienstag auf Donnerstag. Der Montag darauf wurde nun vorgesehen. Und es schien, als würde es diesmal klappen: Die Entzündungswerte waren o.k., Valentin war fit.

Schweren Herzens gaben wir unseren kleinen Kämpfer also in die Hände von Dr. Haas, dem Chirurg. Er hatte uns im Vorgespräch auf eine OP-Dauer von 6-8 Stunden vorbereitet, nicht ohne auf die Schwere dieses Eingriffs hinzuweisen...
Wir fuhren heim und versuchten uns abzulenken, was allerdings kaum gelang. Nach fünfeinhalb Stunden hielt ich es nicht mehr aus und rief auf der Intensivstation an. Ich erhielt zur Antwort, das Valentin gerade aus dem OP gekommen ist und wir ihn in einer halben Stunde schon sehen könnten! Ein großer Stein fiel uns vom Herzen. Die erste Hürde hatte er also geschafft!
Als wir ihn sahen, erkannten wir ihn kaum wieder: Sein Gesicht war total aufgeschwemmt. Ansonsten ist die OP gut verlaufen, alles konnte gemacht werden, was geplant war. Schon am nächsten Tag wurde Valentin extubiert und die Drainage entfernt. Was allerdings Bedenken bereitete, waren die massiven Einlagerungen. So wurde der Verdacht auf einen Thrombus laut und am 4. postoperativen Tag sollte eine Angiokardiographie vorgenommen werden, um diesen auszuschließen.
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag schied Valentin allerdings so gut aus, dass man ihn ohne weiteres Vorgehen auf die Normalstation ließ. Wir konnten unser Glück kaum fassen: keine Rhythmusstörung, keine Thrombose – nichts!
Auf der Normalstation ging Valentins Genesung mit riesigen Schritten voran: Andauernd wollte er essen und war in seinem Verhalten schon bald wieder der Alte.

Leider stellte sich aber bei der Abschlussuntersuchung heraus, dass die Klappenplastik nicht den erwünschten Erfolg zeigte: die Insuffizienz ist immer noch höhergradig. So wird man bei der Komplettierungs-OP im nächsten oder übernächsten Jahr eine künstliche Klappe einsetzen...

Alles andere verlief positiv, so dass wir die Klinik mit der Mindestaufnahmedauer von vierzehn Tagen postoperativ verlassen konnten. Valentin genießt nun sein Leben daheim in vollen Zügen und hält uns alle auf Trab, wenn er Hunger hat!

Bei ihm verlief alles sehr gut, wir mussten in der Klinik die Erfahrung machen, dass Kinder mit „einfacheren“ Herzfehlern teilweise wesentlich kompliziertere Verläufe hatten. Umso glücklicher sind wir nun, unserem kleinen Kämpfer seine Chance gegeben zu haben!

 



Januar 2004

Valentin genoss es sichtlich, wieder daheim sein zu können und entwickelte einen großen Appetit. Mit 16 Monaten entschloss er sich zum Laufen und kam endlich seinem Bruder hinterher.
Er hat einen starken Willen, was es uns als Eltern nicht immer leicht macht, aber ich denke, dass er genau diesen Willen braucht, um alles durchzustehen.

Wir erlebten einen wunderschönen Herbst, der Winter wurde nur durch die andauernden Atemwegsinfekte Valentins beeinträchtigt. Wissentlich, dass die nächste OP im Herbst 2003 folgen würde, um die Kreislauftrennung zu komplettieren, hatten wir das Gefühl, zwei gesunde Kinder zu haben. Es war kein einziger Krankenhausaufenthalt erforderlich, wie es uns der HK-Arzt prophezeite, nein, Valentin entwickelte sich wie ein gesundes Kind.

Mit zwei Jahren wog er 11 Kilo und war 84 cm groß. Für die Kardiologen genau der richtige Zeitpunkt um zu komplettieren: die nächste Operation stand auf dem Plan.

Am 30.09.2003 wurde ein diagnostischer Herzkatheter durchgeführt, bei dem man zwei Stenosen erkannte. Zum einen hatte sich die bei der letzten OP erweiterte Lungenarterie wieder verengt und auch an der korrigierten Lungenvenenfehlmündung fand sich eine Stenose.

Bei einem Gespräch mit dem Chirurgen Dr. Felix Haas konnte dieser uns allerdings beruhigen und meinte, dass Valentin sich wohl nicht so gut hätte entwickeln können, wenn die Stenosen starke Auswirkung auf seinen Allgemeinzustand hätten.

Also wurde am 9.10.2003 die TCPC (Totale Cavo-Pulmonale Connection) durchgeführt und noch einmal versucht, die AV-Klappeninsuffizienz durch Nähte zu stabilisieren.

Die Stenosen konnten belassen werden, da ein chirurgisches Eingreifen die Neubildung dieser nur begünstigt hätte und es Valentin ja trotz der Engstellen sichtlich gut ging. Und wieder traten während der OP keine Komplikationen auf, so dass wir Valentin schon bald auf der Intensivstation besuchen konnten.

Der Anblick erschreckte uns nicht mehr, schließlich kannten wir die Situation von den beiden vorhergehenden Operationen. Vielmehr freuten wir uns über die roten Lippen, denn bis dahin kannten wir Valentin nur mit bläulicher Lippenfarbe. Schon in der gleichen Nacht wurde wieder extubiert.

Die Drainagen zog man nach zwei Tagen, um aber umgehend wieder eine zu legen, da sich sogleich ein Pleura-Erguss angesammelt hatte. Wir wussten, dass diese Wasseransammlungen die Regel und nicht die Ausnahme bei der TCPC darstellen, da sich der Körper erst auf die veränderten Kreislaufverhältnissen einstellen muss.

Nach sechs Tagen Intensivstation wurde Valentin auf die kinderkardiologische Station verlegt und er machte sich prächtig: alle Werte waren in Ordnung, der INR-Wert stabil, so dass wir schon nach zwölf postoperativen Tagen nach Hause entlassen wurden!

Allerdings sollte unser Glück nicht lange andauern: am Abend des zweiten Tages daheim fiel mir Valentins angeschwollener Bauch auf und mein Verdacht auf Aszites sollte sich am folgenden Tag beim Kinderarzt nicht nur bestätigen, nein, auch noch ein riesiger Pleura-Erguss machte unserem Kämpfer das Leben schwer.

Als ich den Schatten auf dem Monitor des Ultraschallgeräts sah, wusste ich bereits, dass dies ein Fall für das Herzzentrum war...

Dort wurde versucht, den Erguss mittels intravenöser Diuretika auszuschwemmen, was leider nicht gelang: also musste punktiert werden. Die Drainage förderte ganze 400 ml, die Valentin das Atmen also so schwer gemacht hatten.

Wir hatten allerdings Glück im Unglück, da sich beim Anblick der klaren Flüssigkeit sogleich herausstellte, dass dies kein Chylo-Thorax ist... Die Drainage blieb einen Tag drin und danach wurde wieder versucht, mit Lasix auszuschwemmen. Doch gegen die hartnäckigen Ergüsse kam dies nicht an; schon bald konnte man wieder einen Schatten unter der rechten Lunge erkennen. Somit musste man stärkere Mittel anwenden: Burinex hieß unsere Erlösung; endlich keine Ergüsse mehr!

Zehn Tage nach der erneuten Einweisung konnten wir das Herzzentrum endlich wieder verlassen. Mit im Gepäck allerdings ein weiteres Medikament: Captopril, ein ACE-Hemmer sollte Valentins Herz entlasten.

Oftmals wurde uns von anderen Eltern prophezeit, dass wir nach der TCPC ein anderes Kind hätten. Das konnte ich mir damals nicht vorstellen, schließlich ging es Valentin auch davor sehr gut. Aber es ist die Wahrheit: Es scheint, als hätte unser Sohn mit dieser Operation große Fortschritte gemacht. Der Mund steht nicht mehr still, endlich sind die Zwei-Wort-Sätze da, auf die wir schon gewartet hatten und es wird getobt ohne Unterlass...

Sicher ist so ein Verlauf, wie wir ihn mit Valentin erleben dürfen, bei solch komplexen Herzfehlern nicht immer üblich.

Auch wissen wir nicht, was ihn noch alles erwartet. Die insuffiziente AV-Klappe muss wohl früher oder später ersetzt werden und auch die bestehenden Stenosen werden vielleicht mittels durch Herzkatheter eingesetzte Stents geweitet.

Aber eines hat uns das Leben mit einem herzkranken Kind gelehrt und das ist, das Leben heute zu genießen und nicht darauf zu warten, dass morgen alles besser sein könnte...

Sivia Reimann
Januar 2004

 

Familie Reimann

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