Thierno
Hypoplastisches Linksherz Syndrom (HLHS)
Thierno Diallo,
*18. April 1999, Hypoplastisches Linksherz Syndrom (HLHS)
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Die Schwangerschaft mit unserem Wunschkind Thierno war perfekt gelaufen. Eine Woche vor Termin dann der Blasensprung, doch Baby Thierno machte keine Anstalten, sein Appartement zu verlassen. Am 18.4.99 war´s dann endlich so weit. 3590 g, 54 cm, Apgar-Zahl 10/10. Am Morgen seines zweiten Lebenstages wurde er mit dem Verdacht auf eine Lungenentzündung in die hiesige Kinderklinik verlegt, nachdem er in der Nacht zuvor auffällig geworden war (Flügelatmung, blaues Munddreieck, Verschlafen...). Die Diagnose schien nach dem Blasensprung klar: eine Infektion. Der Kinderarzt machte auch noch schnell die U2 in der Geburtsklinik. In der Kinderklinik wurde er dann auch über einige Stunden hinweg auf Lungenentzündung behandelt. Ein Herzgeräusch war wohl nicht zu hören. Erst als es ihm immer schlechter ging wurde sein Herz geschallt und der Herzfehler festgestellt. Eigentlich stand die Ambulanz für den Transport nach Sankt Augustin bereit. Aber sein Zustand verschlechterte sich und es war nun keine Zeit mehr zu verlieren. Thierno wurde dann mit dem Hubschrauber abtransportiert. Wir konnten den Hubschrauber noch über der Stadt sehen...
Abends dann das erste Telefonat mit dem Chef der Kardiologie: Vage Andeutungen, am nächsten Morgen nicht vor acht sollten wir da sein. Aber eins war klar: Thierno ging es sehr sehr schlecht. Am nächsten Morgen wie in Trance 130 km zur Klinik, auf die Intensivstation, ins Chefzimmer. Hier erfuhren wir, was auf dem Transport geschehen war: Der Ductus Arteriosus ging zu - Folge: Reanimation, Sauerstoffmangel, Multiorganversagen Nieren, Leber, Darm, Gehirn...). Dann wurde uns sein Herzfehler grob erklärt und die drei Behandlungs“alternativen“ erörtert. Transplantation wurde direkt vom Tisch gefegt und im Hinblick auf seinen Allgemeinzustand wurde uns auch die Möglichkeit zu operieren nicht empfohlen: „Sie sind noch jung und können andere Kinder bekommen. Bedenken Sie, dass das Kind aufgrund der Hirnschädigung auch schwerstbehindert sein kann.“ „ Das belastet eine Familie ...und auch die Scheidungsrate steigt in solchen Fällen.“ Schock, Tränen, Verzweiflung. Ich hätte beinahe die Geräte abschalten lassen. Die Schwestern der Intensiv haben uns sehr unterstützt. Aber insbesondere im Gespräch mit dem Krankenhauspfarrer haben wir unseren Standpunkt gefunden. Das war wie ein 24-Stunden-Selbsterfahrungstripp.
Nachdem wir unsere Entscheidung den Ärzten mitgeteilt hatten, dann das Problem: „Ihr Kind ist im Moment nicht operabel.“ Diese Ungewissheit dauerte eine Woche. Inzwischen war der Kontakt zu einem erfahreneren Operateur in England hergestellt worden. Erst kamen zwei Tromben dazwischen, die noch aufgelöst werden mussten, dann in der Nacht vor dem geplanten Transport nach Birmingham hatte er plötzlich einen Darmverschluss hervorgerufen durch einen NEC. Also Notoperation, künstlicher Darmausgang. Dann nach einer weiteren Woche hatten wir einen neuen Termin in England: Thierno also mit dem Ambulanzflieger nach Birmingham. Mama und Papa einen Tag später hinterher. Doch wir verpassten unseren Flug (Staus ohne Ende: Clinton-Besuch, Straßensperren, Streik, Unfälle.). Als wir dann im nächsten Flieger saßen, wurde Thierno gerade operiert und wir wussten nicht, ob wir ihn jemals lebend wiedersehen würden. Die Chancen standen mehr als schlecht. Doch wir waren glücklich, dass er diese eine, kleine Chance bekam.
Es war ein Wunder: Thierno überlebte die Herzoperation und erholte sich rasend schnell. Seine Sättigung war immer in den Neunzigern und sein Herz schien nun sein geringeres Problem zu sein. Das Krankenhaus und das Personal des englischen Krankenhauses unterschieden sich wie Tag und Nacht von unseren Erfahrungen in Deutschland: Das Haus selbst war ein altes Gemäuer, das gerade modernisiert worden war. Es gab mehr Personal und die Schwestern hatten sogar Zeit „Tapferkeitsurkunden“ für ihre kleinen Patienten zu malen. Die Ärzte waren freundlich und bezogen die Eltern in den Behandlungsverlauf mit ein. Insgesamt herrschte eine positive Atmosphäre, nicht unrealistisch sondern eher nach dem Motto: Das Glas ist halb voll, nicht halb leer. Thierno war aber noch nicht aus dem Gröbsten raus, denn er musste sein Multiorganversagen noch überwinden. Die Nieren erholten sich recht schnell. Der Darm funktionierte wieder, aber die Ernährung mit dem künstlichen Darmausgang war schwierig. Nach 3 Wochen herumexperimentieren wurde der Darmausgang zurückverlegt. In der Zwischenzeit wurde Thierno intravenös ernährt, was aber seine Leber weiter strapazierte. Thiernos Haut- und Augenfarbe war sehr gelb. Um Klarheit über den Zustand der Schädigung zu bekommen, wurde eine Biopsie vorgenommen.. Ergebnis: Die Möglichkeit der Regeneration der Leber bestand, es würde nur Zeit brauchen.
Thierno war ein ausgeprägtes Spuckkind und er nahm und nahm nicht zu. Er hat alle Sorten Milchnahrung mit und ohne Zusätze und Magensonde ausprobiert. Bei Muttermilch angefangen endeten wir schließlich bei einer speziellen Leberdiät. Wir waren mit den Gedanken schon zu Hause als er Magenkrämpfe und Durchfall bekam. Er wurde sicherheitshalber geröntgt: Die Diagnose: wieder NEC (Darmentzündung). Die Behandlung: 10 Tage absolute Nahrungskarenz, Antibiotika und künstliche Ernährung. Danach wieder schleichender Nahrungsaufbau, jeden Tag ein paar Gramm mehr Milch. Thierno nahm minimal zu. Es ging aufwärts und nach 10 unendlich langen Wochen konnten wir endlich zurück nach Deutschland. Und nach einem Tag zur Kontrolle in St. Augustin, schließlich nach Hause!!!! Anschließend musste er zur Nahrungsumstellung (auf deutsche Spezialnahrung, die die KK nur zur Hälfte übernahm) wieder in die hiesige Kinderklinik. Thierno fing prompt wieder an zu spucken. Nach ein paar Tagen habe ich den Ärzten mitgeteilt, dass ich auch zu Hause wiegen und Kotze aufwischen kann und wir wurden entlassen. Thiernos Milch wurden Kalorien und Fette hinzugefügt und er nahm zügig zu. Ende Oktober 99 zeigte dann die Untersuchung: Die Leber ist wieder o.k. Wegen seines Entwicklungsrückstandes turnten wir fleißig nach Vojta und Thierno machte schöne Fortschritte. Mit 15 Monaten krabbelte er endlich und saß auch prompt in der Spülmaschine. Die Auswirkungen der Hirnschädigung müssen letztlich langfristig beobachtet werden, bislang hatten wir Glück.
Am 16.01.2000 wurde in Birmingham die Norwood II erfolgreich durchgeführt. Diesmal waren wir exakt eine Woche später wieder zu Hause. Thiernos Sättigung war nun viel besser und er machte einen großen Entwicklungssprung. Bis dann Anfang März plötzlich eine weitere Darm-OP anstand. Was als Magengrippe begonnen hatte, endete mit einem Bridenileus. Eine alte Narbe hatte den Darm abgeschnürt und einen Darmverschluss verursacht. Nach der OP erholte er sich eigentlich recht schnell, war aber in seiner motorischen Entwicklung wieder zurückgeworfen worden. Trotz aller Ernährungsprobleme konnte Thierno seinen Geburtstag als König der Kuchentafel feiern und stopfte sich mit Sahnewindbeuteln voll. Er entwickelt sich zwar verzögert aber völlig normal. Er spuckt nur noch, wenn er zuviel gegessen hat, weil´s zu gut schmeckt. Er schafft es einen ganzen Aldi zu unterhalten und manchmal denke ich, wir sollten Eintritt nehmen für den Schelm.
Auch wenn jetzt alles eitler Sonnenschein ist, vergessen wir nicht die Fontan-Komplettierung im Alter von 4 oder 5 Jahren. Und danach müssen wir sehen, wie lange sein „halbes Herz“ die Belastung aushält. Vielleicht braucht er irgendwann ein Transplantat....
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