Mirjam

Ventrikel-Septum-Defekt (VSD)

 

 

Mirjams Herzgeschichte (VSD)

  • Vorbemerkung

Mirjams Herzgeschichte ist ein Beispiel dafür, wie es besser kaum hätte laufen können.

Sie ist trotzdem etwas lang geworden....

Ich hätte auch schreiben können: Bei der U3 wurde der VSD entdeckt, 2 Monate später wurde eine Herzkatheteruntersuchung in Heidelberg durchgeführt. Mirjam wurde daraufhin mit 5 ½ Monaten in Heidelberg operiert. Es gab keine Schwierigkeiten. Der eingesetzte Patch ist dicht und sie hat sich von allem sehr gut erholt.

Aber ich möchte die Gelegenheit nützen, an ihrer Geschichte auf die kleinen Probleme und Problemchen einzugehen, mit denen wir in den letzten 7 Monaten konfrontiert wurden.

Wenn Eltern über schwere Herzfehler mit großen Problemen berichten müssen, geraten diese Kleinigkeiten verständlicherweise schnell in den Hintergrund.

Wenn man als Eltern aber gerade erst von der Diagnose eines VSD erfahren hat und gleichzeitig gesagt bekommt, man habe das große Los gezogen... Dass es sich zwar um einen Herzfehler handelt, aber zum Glück nur um ein VSD, dann sind unsere Erfahrungen vielleicht doch hilfreich.

Irgendwie irgendwann haben viele Leute mal was vom "Loch im Herzen gehört und dass das doch bestimmt von alleine zugeht"... Wenn wir dann gesagt haben, dass es bei ihr nicht so ist, bekamen wir meist als Antwort: "Aber da kann man doch sicher was machen?"... Man kann – aber was eine große Herzoperation mit Herz-Lungen-Maschine wirklich bedeutet, ist uns erst im Laufe der Zeit klar geworden. Und wie soll man so schnell jemandem erklären, wofür wir selbst Monate gebraucht haben?

Deshalb hier mein Versuch, die letzten 7 Monate in Worte zu fassen:

  • Geburt

Als wir am 06.02.01 mit unserer Tochter Mirjam aus der Entbindungsklinik entlassen werden, ist die Welt noch in Ordnung.

Ihre Geburt am 31.01.01 (2 Tage über Termin) war anstrengend, lang und am Schluß ziemlich hektisch, als zuerst mein Kreislauf nicht mehr mitmachte und dann Mirjams Lebenszeichen abfielen. Es musste am Ende ziemlich schnell gehen. Deshalb nahmen die Ärzte die Saugglocke und ihre ganze Kraft zu Hilfe und Mirjam wurde sofort aus dem Zimmer gebracht und versorgt. Sie bekam ein wenig Sauerstoff und mußte unter die Wärmelampe. Noch am selben Abend hatte sie sich aber soweit erholt, dass sie bereits zu mir ins Zimmer durfte und in der Nacht trank sie zum ersten Mal an meiner Brust.

Aber als wir sie 6 Tage später mit nach Hause nehmen dürfen, ist das alles schon fast vergessen – wir sind die glücklichsten Eltern mit dem hübschesten Baby der Welt.

Mirjam ist unser erstes Kind – ein Wunschkind. Bei der U1 und U2 im Krankenhaus wurde ihr beste Gesundheit bescheinigt, das Stillen klappt problemlos. In den ersten vier Wochen gibt sie uns keinen Anlass zu irgendwelchen Sorgen. Sie ist ein sehr liebes Baby, schreit wenig und schläft viel. Mit 3150g und 50 cm Länge startet sie mit ganz normalen Eckdaten ins Leben.

  • Der Herzfehler wird entdeckt

Anfang März gehe ich mit ihr zur U3 zum Kinderarzt. Er untersucht Mirjam lange und gründlich – hört immer wieder ihren Brustkorb ab. Schließlich sagt er mir etwas von einem Herzgeräusch, daß nicht normal ist – seine weiteren Erklärungen kommen nur noch wie durch einen dicken Nebel bei mir an. Es stimmt was nicht mit ihrem Herz – mein Kind ist nicht gesund... Der Kloß im Hals wird immer dicker. Es nützt auch nichts, daß er sagt, daß viele Kinder Herzgeräusche hätten und es sich dann oft als unbedeutend herausstellt...

Wir sollen zum Kinderkardiologen zur Abklärung. Noch am selben Tag rufe ich beim Kardiologen an und mache einen Termin – erst in zwei Tagen – die Zeit wird unendlich lang. Die Angst immer größer.

Der Kinderkardiologe nimmt sich viel Zeit für die Untersuchung und erklärt mir alles ganz genau. Dann steht fest: Mirjam hat ein VSD – ein Ventrikelseptumdefekt, etwa 5-6 mm groß im oberen Bereich der Herzscheidewand ziemlich nahe an den Klappen. Der Rest des Herzens scheint soweit richtig ausgebildet zu sein. Außer dem Loch sind keine weiteren Fehlbildungen zu erkennen. Die linke Herzkammer ist vergrößert, da das Herz auf Grund des Defekts viel mehr arbeiten muss als normal.

Er stuft das Loch als einen "mittleren" Defekt ein – es fließt eine nicht unbedeutende Menge Blut von der rechten in die linke Hauptkammer und es ist keine vollständige Drucktrennung da. Das heißt, der Druck in der rechten Herzkammer und damit auch in der Lunge ist erhöht. "Hämodynamisch bedeutsam" nennt er das. Es bestünde nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass das Loch sich selbst verschließe. Eigentlich sei es dafür zu groß und daher müssen wir mit einer Operation in den ersten 6-8 Lebensmonaten rechnen. Mirjam soll von nun an täglich 3 Tropfen Lanitop nehmen, um ihr Herz bei seiner Arbeit zu unterstützen.

Wir sollten jetzt genau ihre Gewichtszunahme und Entwicklung beobachten, in 14 Tagen zum Kinderarzt zur Kontrolle, in 4 Wochen wieder zu ihm und ansonsten weiterleben wie bisher – wenn das so einfach wäre....

  • Die Zeit nach der Diagnose

Mir fällt schwer, der Familie das alles zu erklären, ich habe es selbst ja noch kaum verstanden. Zum Glück gibt mir eine andere Mutter in der Stillgruppe den Tip mit dem Herzkinderforum. Über das Forum und die IdHK bekommen wir viele wichtige Informationen und je mehr wir wissen, desto leichter fällt es, mit der Situation umzugehen.

Ich stille Mirjam weiterhin voll, Mirjam trinkt gut – glaube ich. Weil sie sehr häufig an die Brust will, bekommt sie immer häufiger den Schnuller, damit die Abstände zwischen den Mahlzeiten nicht zu gering werden. Meine Hebamme sagt, dass ich nicht in Abständen kürzer als 2 Stunden stillen soll... (Heute weiß ich, dass das ein Fehler war – ich habe in meiner Unwissenheit mich zu sehr an den Gewohnheiten "gesunder" Kinder orientiert.)

Ihre Schlafphasen werden immer länger. 4 Wochen später macht sich der Kinderarzt Sorgen, weil die Gewichtszunahme immer schlechter wird.

Innerhalb weniger Tage spitzt sich Anfang April die Situation zu. Ich stelle fest, dass ich kaum noch Milch habe und Mirjam fängt an, auch tagsüber 5 oder 6 Stunden lang zu schlafen. Wenn sie schläft, schläft sie so tief, dass sie fast nicht aufzuwecken ist. Sie trinkt immer weniger und hat mich damit fast abgestillt.

Als mir klar wird, was da abläuft, ziehe ich sofort die Konsequenzen. Kein Schnuller mehr. Mirjam bekommt alle 2 Stunden abgepumpte Muttermilch aus dem Gefrierschrank. Zum Glück habe ich genug Vorrat in den letzten Wochen gesammelt (Ich hatte für "Notfälle" von Anfang an jeden Tag eine Mahlzeit zusätzlich abgepumpt und eingefroren). Wenn sie schläft wird sie dafür aufgeweckt. Parallel pumpe ich alle 2 Stunden auf jeder Seite 10 min lang ab, obwohl kaum Milch kommt.

Und wir schaffen das fast Unmögliche. Nach 4 Tagen habe ich wieder genug Milch und Mirjams Trinkmenge liegt wieder bei 500-600 ml am Tag.

In diesem Zusammenhang muss ich mal ein dickes Lob auf die Milchpumpe von Avent und das Einwegsystem mit den Gefrierbeuteln von dieser Firma loswerden. Dieses System hat sich bei uns voll bewährt. Auch die Sauger, die speziell so geformt sind, dass das Trinken aus der Flasche nicht zu Problemen beim Stillen führt, waren ein voller Erfolg. Mirjam hat von Anfang an kein Problem gehabt zwischen Brust und Flasche zu wechseln.

Allerdings lernen wir durch diese Aktion, dass sie scheinbar nicht genug Kraft – oder Geduld hat, um mehr als 60 ml pro Portion zu trinken. Von da ab lege ich sie immer an, sobald sie am Finger lutscht oder ein bißchen quengelt. Sie trinkt dadurch etwa alle 1 ½ - 2 Stunden ihre kleine Portion. Als Dank beginnt sie nachts durchzuschlafen.

Die Kontrolle beim Kardiologen ergibt wenig später, dass ihre Gewichtszunahme zwar wieder besser läuft, das Loch ist allerdings nicht kleiner geworden. Wir sollen Mirjam in Heidelberg zur Planung einer Herzkatheteruntersuchung vorstellen. Obwohl ich am selben Tag in Heidelberg anrufe, erhalten wir erst in 8 Wochen einen Vorstellungstermin in der Kardiologischen Ambulanz.

Am 15. April, am Ostersonntag bringen wir Mirjam zur Taufe und feiern mit der Familie. "Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein." (Jesaja 43,1) – ihr Taufspruch macht auch uns Mut für alles was in den nächsten Wochen und Monaten auf uns und die Familie zukommt. Es war uns wichtig, dass Mirjam getauft ist, bevor sie ins Krankenhaus muss. Sie lacht mit Oma und Opa, spielt gerne mit ihren Spielsachen, sie ist unser Sonnenschein.

In der Folgezeit nimmt Mirjam langsam aber stetig zu und ihre motorische und geistige Entwicklung hält mit Gleichaltrigen schön Schritt. Beim Längenwachstum bleibt sie kaum zurück, so daß der Gewichtsunterschied zu ihren Freunden in der Stillgruppe immer deutlicher sichtbar wird – sie ist auffallend lang und dünn.

  • Vorstellung in Heidelberg

Die Untersuchung in Heidelberg Anfang Mai ( Mirjam ist jetzt etwas älter als 3 Monate) ergibt nichts Neues – man erklärt uns, daß das Loch so bedeutend sei, daß der Herzkatheter bald durchgeführt werden sollte. Es zeigt sich dann aber, daß es nicht leicht ist, "bald" einen Termin im großen schwarzen Buch zu finden. Das erste Angebot in 6 Wochen können wir nach dem, was uns gerade erzählt wurde, nicht akzeptieren. Eben noch sprach man von "bald", "dringend" und "2-3 Wochen" und dann das?

Schließlich wird doch noch ein Termin gefunden. Der 25.05.01 ist noch frei, da am Tag vorher Feiertag ist. Deshalb sollen wir bereits Mittwochs zur Aufnahme kommen, dürfen dann noch mal nach Hause bis Donnerstag Abend. Am Freitag findet dann die Untersuchung statt und im Laufe des Wochenendes dürfen wir dann wahrscheinlich wieder heim. Wir stimmen zu.

  • Herzkatheteruntersuchung

Am Mittwoch den 23.05.01 fahre ich mit Mirjam zur vorstationären Aufnahme in die Unikinderklinik Heidelberg. Nach der allgemeinen Untersuchung in der Ambulanz dürfen wir uns auf Station melden und Mirjam bekommt dort ihr Bett zugewiesen. Sie wird gewogen und gemessen und dann warten wir auf die noch folgenden Untersuchungen. Der Stationsarzt untersucht sie und spricht mit mir ihre Krankengeschichte durch. Im Laufe des Tages finden dann noch eine Ultraschalluntersuchung, ein EKG und eine Röntgenuntersuchung statt.

Besonders die Röntgenuntersuchung jagt mir einen Schreck ein, da Mirjam in eine Kunststoffschiene gebunden wird und vor dem Gerät an einen Haken gehängt wird. Dann soll sie schreien, damit man sieht, wenn sie Luft holt, um in diesem Moment die Aufnahme vom Torax zu machen – Mirjam lacht die ganze Zeit. Nicht einmal durch Nase-Zuhalten ist sie zum Schreien zu bewegen. Es scheint also schlimmer auszusehen, als es für sie ist.

Nach dem Gespräch mit dem Arzt, der die Herzkatheteruntersuchung durchführen wird, über die Untersuchung selbst und die Risiken, dürfen wir bis Donnerstag abend wieder nach Hause. Am nächsten Tag ist Vatertag – wir machen einen Ausflug in den Luisenpark und genießen das schöne Wetter. Am Abend fährt uns Papa in die Kinderklinik. Da ich Mirjam voll stille, werde ich auf Station mit aufgenommen, kann also die beiden Nächte, die wir in der Klinik verbringen, in einem großen Bett neben ihr schlafen.

Mirjam bekommt nach unserer Ankunft in der Klinik einen Zugang am Kopf gelegt, damit sie morgen früh eine Glukoselösung angehängt bekommen kann. Sie muss nämlich ab 4 Uhr morgens nüchtern bleiben. Ich schlafe sehr schlecht in dieser Nacht. Auch Mirjam schläft nicht durch. Ich stille sie um halb zwei Uhr und wecke sie dann noch mal kurz vor 4 Uhr für die letzte Stillmahlzeit. Dann hängt die Nachtschwester den Tropf an. Kurz nach 8 Uhr morgens begleiten wir Mirjam dann zum Untersuchungszimmer.

Die Untersuchung selbst dauert etwas länger als geplant, da Mirjam sich nur schwer ruhig stellen lässt. Sie schreit auf das Schlafmittel anstatt einfach nur ruhig zu schlafen. Als Nachwirkung auf die Medikamente, die sie bekommen hat, können wir sie nur schwer beruhigen, als sie mittags wieder auf Station ist. Sie möchte nichts trinken, schreit ununterbrochen, ist nicht wirklich ansprechbar, kann ihren Kopf und die Gliedmaßen nicht richtig kontrollieren und schaut uns mit furchtbar müden Augen an. Endlich bringt mein Mann sie auf dem Arm zum Einschlafen. Sie schläft ca. 5 Stunden und dann hat sie Hunger. Sie trinkt und trinkt und trinkt – bis meine Brust leer ist. Dann trinkt sie noch mal 100 ml abgepumpte Milch aus der Flasche, um dann anschließend noch mal an der Brust zu trinken...

Die Ergebnisse des Katheters bestätigen die bisherigen Untersuchungen. Man spricht von einem "bedeutenden" Shunt-Volumen und einem nicht unerheblichen Lungenhochdruck. Die Ärzte raten uns zur baldigen Operation. Mirjam soll für Mitte / Ende Juli eingeplant werden.

Am Samstag werden wir wie geplant wieder entlassen. Wir erhalten einen vorläufigen Bericht für unseren Kardiologen – in dem eigentlich nichts drin steht. Der ausführliche Bericht würde per Post versandt werden. Um den genauen OP-Termin zu erfahren, sollen wir in 14 Tagen auf Station anrufen.

Am Sonntag morgen hat Mirjam hohes Fieber und verweigert im Laufe des Tages das Trinken. Die Anstrengung der letzten Tage ist doch nicht spurlos an ihr vorbeigegangen und sie hat sich einen Atemwegsinfekt eingefangen. Nach Besuchen beim Notarzt und in der Kinderklinik sind wir mit Medikamenten versorgt und Mirjam braucht in Folge einige Zeit, bis sie wieder ganz gesund ist.

  • Warten auf die Operation

Entweder als Folge der Krankheit oder weil sie der VSD doch inzwischen soviel Energie kostet, bleibt Mirjams Gewichtsentwicklung in den folgenden Wochen bis zum OP nahezu stehen. Sie nimmt nur noch rund 30 g pro Woche zu. Der Abstand zu den Altersgenossen wird immer größer.

Die Wochen vor der Operation sind vor allem für uns Eltern schwierig. Nach 14 Tagen rufen wir wie vereinbart auf Station an, um den genauen OP-Termin zu erfahren und werden vertröstet. Mirjam sei in der Konferenz mit den Herzchirurgen noch nicht besprochen worden. Wir sollen in 14 Tagen nochmal anrufen. In den folgenden Wochen geht es so weiter. Mal ist der Arzt nicht zu sprechen, dann in Urlaub und die Vertretung weiß nichts... Ende Juni, also 5 Wochen nach dem Katheter sagt man mir dann, dass Mirjam auf der Juli-Liste steht, aber ein genauer Tag erst bei Erstellung des OP-Planes gemacht würde. Kurz darauf erhalten wir dann endlich einen Brief mit dem genauen Termin.

Aber auch mit dem Wissen um den genauen Termin wird es für uns nicht leichter. Wir sind hin und her gerissen. Auf der einen Seite erscheint es uns unsinnig, unser optisch "gesundes" Kind den Gefahren der Operation auszusetzen, auf der anderen Seite steht da die Aussage der Ärzte, dass ein Aufschub Mirjam kaum etwas bringt, die Risiken dadurch nicht geringer würden und Mirjam von einer frühen Operation eher profitieren würde, weil sie der VSD soviel Kraft kostet.

Hinzu kommt das Unverständnis bzw. die übertrieben Sorge unserer Umwelt. Die Großeltern machen sich Sorgen, andere Eltern können unsere Situation nicht verstehen. In dieser Zeit hilft mir besonders der Kontakt zum Forum. (Vielen Dank!)

Anfang Juli haben wir noch mal einen Termin bei unserem Kinderkardiologen. Wir erhoffen uns genauere Informationen, die uns die Entscheidung vielleicht doch etwas erleichtern. Zum Glück rufe ich kurz vorher bei ihm noch mal an und frage, ob denn die Untersuchungsergebnisse des Herzkatheters bei ihm eingetroffen sind. Er hat von Heidelberg nichts erhalten. Also spreche ich mit dem Arzt auf Station und er verspricht mir, dass unser Kardiologe den Bericht sicher bis zu unserem Besuch dort erhalten wird. – Als wir am Termin in der Praxis sind, ist kein Bericht da... Erst auf einen erneuten Anruf in Heidelberg hin fängt das Fax an zu rattern... Das ganz normale Krankenhauschaos hat wieder zugeschlagen.

Der Bericht enthält dann endlich Zahlen: Das VSD ergibt einen Links-Rechts-Shunt von 84 %, d.h. 84% des Blutes, die das Herz in Richtung Lunge verlassen sind über das Loch geflossen und nur 16% sind wirklich sauerstoffarmes Blut aus dem Körperkreislauf. Also rasen mehr als ¾ der gepumpten Blutmenge ständig über Lunge zurück zur linken Kammer und über das Loch wieder in die rechte Kammer im Kreis. Das ist eine Menge! Kein Wunder, dass sie dafür eine Menge Energie braucht und kaum Fett auf die Rippen bekommt...

Durch dieses große Shunt-Volumen hat Mirjam in der rechten Herzkammer und in der Pulmonalarterie einen erhöhten Druck von 59/38 mmHg (normale Werte lägen so bei 25/0 bzw. 25/10 mmHg). Dieser hohe Druck wird auf Dauer nicht spurlos an den Klappen der rechten Herzkammer, der Pulmonalarterie und der Lunge vorbeigehen. Im schlimmsten Fall könnte es irgendwann mal zu einem so hohen Lungenhochdruck kommen, dass dies zur Shunt-Umkehr führen könnte. Damit wäre der Lungenhochdruck dann fixiert und eine Operation nicht mehr möglich...

Nach dem Gespräch sind wir nicht gerade erleichtert, aber wir verstehen die Situation besser und können nachvollziehen, warum eine OP jetzt Sinn macht. Außerdem haben wir ein bißchen ein Gefühl dafür bekommen, was uns in der Klinik und auf der Intensivstation so erwarten wird.

Die letzten Tage vor dem Aufnahmetermin in der Klinik macht Mirjam uns Sorgen. Sie ist ständig ein wenig erkältet. Mal mehr, mal weniger. Hustet, niest, schnupft... dann ist wieder ein Tag ohne Symptome. Wir sind unsicher, ob sie fit genug ist für die Operation. Wir hoffen und beten, dass sie sich wieder ein bißchen erholt und dass der Termin nicht verschoben werden muss. Der Gedanke diese Warterei bis zum Termin noch einmal durchmachen zu müssen scheint mir unerträglich...

  • Aufnahme in Heidelberg zur Operation

Am Freitag (13.07.01) ist es dann endlich soweit. Ich fahre mit ihr zur vorstationären Aufnahme nach Heidelberg in die Kinderklinik. Die Untersuchungen zeigen außer einem leicht geröteten Rachen keine Auffälligkeiten. Wir dürfen über das Wochenende wieder nach Hause und sollen am Montag wieder kommen. Möglichst gesund – dann wird noch Blut und Urin kontrolliert und danach entschieden, ob der OP wie geplant am Dienstag stattfinden wird.

Am Samstag hat sie leicht erhöhte Temperatur und macht einen ziemlich matten Eindruck. Wir verabreichen ihr an Grippemitteln, was die homöopatische Hausapotheke so hergibt. Am Sonntag scheint sie wieder fit zu sein. Keine Temperatur mehr, kaum noch Schnupfen...

Die Werte am Montag sind dann tatsächlich in Ordnung und wir können bleiben. Die größte Hürde scheint uns geschafft. Mittags führen wir ein kurzes Gespräch mit einer Anästesistin, über die Operation und die Probleme, die mit einer Narkose verbunden sein können und unterschreiben, dass wir mit der OP einverstanden sind.

Abends kommt dann Prof. Dr. Sebening, der die OP durchführen wird, nach einem langen OP-Tag, um mit uns über den Eingriff zu sprechen. Erst in diesem Gespräch wird uns die Dimension und Tragweite von Mirjams Herzfehler und der Operation richtig bewußt. Er erklärt uns, dass er einen Patch, einen Flicken aus Mirjams Herzbeutel herstellen wird und diesen über das Loch nähen wird. Mirjams Defekt liegt ziemlich nahe an den Klappen. Damit liegt der Defekt auch in der Nähe des AV-Knotens, von dem aus die Reize zum Schlagen des Herzens an die einzelnen Bereiche des Herzens weitergeleitet werden. Das Problem für ihn als Chirurg liegt darin, dass er diesen Knoten nicht sehen kann, aber ihn trotzdem möglichst nicht verletzen möchte, da dies zu Herzrhythmusstörung führen könnte. Im schlimmsten Fall würde das dann einen weiteren Eingriff und die Implantierung eines Herzschrittmachers notwendig machen. Als Vorsichtsmaßnahme werden bei der OP routinemäßig die Anschlüsse für einen externen Herzschrittmacher am Herz festgenäht. Diese Kabel werden, falls nicht benötigt, dann mit den Fäden wieder gezogen. Bis zu diesem Punkt hatten wir eigentlich gedacht, alles über Mirjam Defekt zu wissen, aber von diesem Knoten haben wir in dem Gespräch zum ersten Mal erfahren...

Die Operation am Dienstag soll "auf Abruf" stattfinden – eine Operation ist vor Mirjam dran und je nach dem wie lange das dauert, kommt Mirjam früher oder später dran. Das Problem dabei ist, dass Mirjam ab 8.00 Uhr morgens bereit sein soll (falls der andere OP vielleicht ganz ausfällt...) und daher ab 4.00 Uhr morgens nüchtern bleiben muss. Und das bei ihrer Angewohnheit tagsüber dauernd zu trinken...

  • Der OP-Tag

Ich kann sie einigermaßen gut bis 8.00 Uhr hinhalten, aber dann wird es schwierig. Zum Glück bekommt sie kurz vor 10.00 Uhr einen Zugang gelegt, so dass sie Glukoselösung über Infusion bekommen kann. Damit ist der Hunger nicht mehr ganz so groß. Wir laufen stundenlang mit ihr im Tragetuch und dem Ständer mit der Infusionslösung nebenher schiebend den Stationsflur auf und ab.

Gegen 13.00 Uhr ist es endlich soweit. Eine Schwester geht mit uns von der Kinderklinik zur Chirurgischen Klinik, wo die OP stattfinden wird. Mirjam schläft bei meinem Mann im Tragetuch. Wir müssen uns besondere Kittel anziehen und werden dann in den Aufwachraum geführt, wo wir darauf warten sollen, dass Mirjam dran kommt. Sie bekommt einen Saft, der sie schläfrig machen soll. Leider wirkt der nicht ganz wie er soll. Sie regt sich furchtbar auf, schreit und saugt sich überall fest. Inzwischen ist es fast 15.00 Uhr und seit 2 Sunden bekommt sie keine Glukose mehr. Sie scheint wahnsinnig Hunger zu haben. Die Anästhesisten nehmen sie mit, um sie auf den OP vorzubereiten... Diese letzten 2 Stunden im Aufwachraum waren die schlimmsten die ich je erlebt habe– später erfahren wir, dass der OP erst gegen 17.00 Uhr begonnen hat.

Wir fahren in die Stadt und laufen die Fußgängerzone auf und ab, um uns abzulenken. Um 20.30 bekommen wir über unser Handy Nachricht, dass alles gut gelaufen ist und Mirjam mit dem Transport zurück zur Kinderklinik unterwegs ist. Kurz nach 21.00 Uhr dürfen wir auf der Intensivstation der Kinderklinik zu ihr.

Glücklicherweise hat uns unser Kardiologe vorher gründlich auf den Anblick vorbereitet, so dass ich es mir schließlich schlimmer vorgestellt hatte, als es dann tatsächlich ist. Es ist ein bewegender Moment. Sie sieht trotz allem lieb aus, wie sie da so ruhig schläft. Die Nachtschwester, die diese Nacht für Mirjam zuständig sein wird, erklärt uns alles. Wir können Mirjam beruhigt in ihrer Obhut lassen und schlafen gehen (ich übernachte im Elternwohnheim nebenan, mein Mann fährt nach Hause).

  • 2. Tag

Am nächsten Morgen (Mittwoch) bin ich bereits um 5.00 Uhr wieder bei ihr. Ich konnte einfach nicht mehr schlafen. Außerdem musste ich Milch abpumpen, sonst wäre ich "geplatzt"... Die Milch bekommt sie im Laufe des Tages in immer größeren Mengen über die Magensonde. Alle starken Medikamente sind bereits abgesetzt, Mirjam hatte bereits in der Nacht kurze "wachere" Phasen. Mittags überlegen die Ärzte, ob sie nicht schon extubieren sollten. Der Sauerstoff über die Beatmungsmaschine wurde bereits schrittweise reduziert und sie hat auch schon als Übung kurze Zeit "alleine" geatmet. Aber ihr Kreislauf ist noch nicht stabil genug. Sie bekommt nachmittags noch zwei Bluttransfusionen um ihn zu stabilisieren.

  • 3. Tag

Als ich am Donnerstag morgen zu ihr komme, ist eine Drainage bereits abgeklemmt. Sie soll am Vormittag gezogen werden. Dafür bekommt sie noch mal stärkere Schmerzmittel, die auf die Atmung wirken, so dass das Extubieren noch mal verschoben wird. Als sie mittags wach wird, versucht sie am Daumen zu lutschen. Obwohl ich sie festhalte und ihre Hände an den Beinen fixiert sind, schafft sie es sich den arteriellen Zugang an der linken Hand sozusagen selbst zu ziehen – wieder ein Schlauch weniger... Nachmittags wird sie extubiert und es klappt problemlos. Sie bekommt danach noch für ein paar Stunden Sauerstoff über einen kleinen Schlauch (die "Brille" direkt an die Nase), aber das braucht sie auch bald nicht mehr. Während sie anschließend inhaliert wird sie wach und macht zum ersten Mal die Augen auf.

Und dann? Daumenlutschen...

Nachdem sie der Schwester über Stunden gezeigt hat, wie fest und sicher sie am Daumen saugen kann, darf sie es abends mit der Flasche probieren. Schade, dass nur 40 ml im Fläschen sind – sie hätte gerne noch mehr getrunken... Als wir abends gehen, sind die restlichen beiden Drainagen bereits abgeklemmt und sollen, falls es klappt, in der Nacht gezogen werden.

  • 4. Tag

Freitag morgen ist sie bereits putzmunter, als ich komme. Die Drainagen sind weg. Nur noch Magensonde und Zentraler Venenzugang (ZVK) sind noch da – und natürlich die Elektroden fürs EKG, die Blutdruckmanschette und die Pulsox-Messung. Ich habe nochmal abgepumpte Milch mitgebracht, aber Mirjam darf nun an der Brust trinken. Sie wird vorher und hinterher gewogen – ich kann es gar nicht glauben, aber sie hat mal schnell 110 ml getrunken. Im Laufe des Vormittags assistiere ich der Schwester beim Enfernen des ZVK. Kurz vor Mittag verlässt sie die Intensivstation und wird auf die H5 verlegt.

Ich bekomme wieder ein Bett bei ihr im Zimmer, damit ich sie auch nachts gut stillen kann. Allerdings ist die Trinkmenge noch begrenzt, um Wassereinlagerungen entgegenzuwirken. Mirjam schimpft, wenn sie auf die Waage muss oder von der Brust wegmuß, obwohl sie gerne noch mehr getrunken hätte.

  • Die folgenden Tage

Die nächsten Tage vergehen furchtbar langsam. Wir haben nicht viel Auslauf auf der Station. Sie erholt sich sehr schnell und ihr ist langweilig. Das Wochenende über ist die Station ziemlich leer, erst ab Montag kommen wieder neue Kinder und ihre Eltern und es wird wieder interessanter.

Es gibt keine Probleme, auch keine Nachwirkungen der Medikamente, die sie bekommen hat, bzw. die jetzt langsam abgesetzt werden. Zum einen mag das daran gelegen haben, dass sie die richtig schweren Medikamente nur kurze Zeit bekommen hat, zum anderen hat die homöopatische OP-Vor- und Nachbereitung wohl doch etwas gewirkt.

Ich hatte ihr am Tag der Operation morgens eine Einmalgabe (7 Globulis) Arnika D200 und Nux Vomica D30 gegeben. Als wir dann wieder auf Normalstation waren, bekam sie von mir 3 mal täglich Nux Vomica D30 bis das Antibiotikum abgesetzt war und Staphisagria D3 für die Wundheilung. Einen "Entzug", wie ihn viele Kinder nach den Mitteln der Intensivstation durchmachen mussten, haben wir bei ihr überhaupt nicht beobachtet. Die Entgiftung durch das Nux Vomica wurde erst nach Absetzen durch einen roten Ausschlag auf den Armen und Beinen sichtbar. Dieser Ausschlag war nach 24 Stunden verschwunden. Außerdem habe ich einmal täglich Utilin N-Tropfen auf ihrem Bauch verrieben, um ihre Verdauung zu verbessern, die durch die vielen Medikamente doch ziemlich in Mitleidenschaft gezogen wurde.
 

Ich habe diese homöopatischen Medikamente gegeben, ohne darüber mit Ärzten oder Schwestern zu sprechen – ich hatte am Anfang gefragt, ob sie auch homöopatisch behandelt werden könnte, da wir vorher gemerkt hatten, dass sie darauf gut ansprach. Die Ärzte des Krankenhauses hielten nichts davon – "das wirkt sowieso nicht"... Also habe ich es einfach getan – Wenn ich danach gefragt worden wäre, hätte ich es auf jeden Fall angegeben, aber es hat niemanden interessiert. Und ich glaube, es hat viel dazu beigetragen, dass es bei Mirjam überhaupt keine Schwierigkeiten gegeben hat. Mirjam hatte keinen sichtbaren Entzug (abgesehen von dem Ausschlag, mit dem wir aber gerechnet hatten), sie hatte zu keiner Zeit Fieber, nicht mal eine erhöhte Temperatur, keine Blutergüsse an der OP-Narbe noch an den Zugängen und alles ist ohne die kleinste Entzündung sofort verheilt. Natürlich kann ich nicht den Gegenbeweis führen, wie es ohne die homöopatischen Medikamente gelaufen wäre...

  • 9.Tag

In den Tagen auf der Normalstation wurde die Trinkmenge jeden Tag ein wenig erhöht, gleichzeitig das Medikament zur Entwässerung (Lasix) schrittweise reduziert. Am 9. Tag (OP-Tag inklusiv) sind alle Medikamente abgesetzt und die Trinkmenge wird freigegeben, nachdem eine Ultraschalluntersuchung keine Wassereinlagerung gezeigt hat. Sie bekommt nur noch einmal täglich 3 Tropfen Lanitop (das soll auch die nächsten drei Monate noch so bleiben). Am selben Tag werden die Fäden an den Drainagennarben gezogen und danach dürfen wir endlich auch für Spaziergänge nach draußen. Sie muss nun auch nachts nicht mehr an den Monitor.

  • 10. Tag und Entlassung am 11. Tag

Am 10. Tag wird noch Blut entnommen und alle Werte kontrolliert. Außerdem wird noch mal ein EKG geschrieben und eine Röntgenaufnahme gemacht. Es ist alles so gut verlaufen, dass wir am 11. Tag ( Freitag, der 27.07.01) aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Wie sind überglücklich über den schnellen komplikationslosen Verlauf (wir hatten uns immerhin auf 3 Wochen Krankenhaus eingestellt) und sind froh, das Krankenhaus mit seinen ziemlich nervenden Routinen und der Klimaanlagenluft gegen Sonne und Freiheit einzutauschen.

  • Erholung zu Hause und Nachkontrolle

Der Rest ist schnell erzählt. Mirjams Erholung geht zu Hause genauso rasend schnell weiter, wie es begonnen hatte. Wenig später, als Mirjam volle 6 Monate alt ist, beginne ich mittags mir Brei. Es gibt keine Essprobleme. Bei der U5 Mitte August (14.08.01, 6 ½ Monate) ist sie 64 cm groß und wiegt 5585g – damit hat sie seit der Entlassung aus dem Krankenhaus pro Woche ungefähr 200g zugenommen. Die Kontrolle beim Kardiologen eine Woche später (4 Wochen nach OP) bestätigt den komplikationslosen Verlauf.

Der Patch ist dicht. Das Herz arbeitet wie es soll. Sie hat seit der U5 weitere 200g zugelegt, aber es ist nirgendwo eingelagerte Flüssigkeit zu finden. Die Operation war ein voller Erfolg. Das Lanitop soll sie weiterhin nehmen, allerdings wird die Dosis nicht an ihr steigendes Gewicht angepasst. Es soll ihr Herz dabei unterstützen sich von der langen Ruhigstellung während der OP, als die Herz-Lungen-Maschine in Betrieb war, zu erholen. Beim EKG sieht man, dass eine Reizleitung vom AV-Knoten zur rechten Herzhälfte durch die OP gestört wurde und nicht mehr funktioniert. Die übrigen Reizleitungen sind aber alle in Ordnung, so dass es im Gesamten nicht zu Herzrhytmusstörungen kommt. – Unser Kardiologe ist der erste Arzt, der mir die Kurven des EKG auch mal erklärt....

In drei Monaten sollen wir noch mal nach Heidelberg zur Kontrolle, ein Jahr nach OP dann noch mal beim Kardiologen und dann brauchen wir hoffentlich nicht mehr allzuoft an die ganze Geschichte denken...

Wir danken Professor Sebening und seinem OP-Team in der Chirurgischen Uniklinik Heidelberg, den Ärztinnen, Ärzten, Schwestern und Pflegern der kardiologischen Ambulanz, der H 3i und der H 5 der Unikinderklinik Heidelberg ganz herzlich für die gelungene Operation und die gute Pflege und Betreuung während unserer Aufenthalte für Herzkatheter und OP.

Wir danken auch unserem Kinderkardiologen Dr. Stahl und unserem Kinderarzt Dr. Gergely in Mannheim für die supergute Betreuung, Unterstützung und die viele Zeit, die sie sich genommen haben und hoffen auf weitere gute Zusammenarbeit.

Und wir sind unendlich dankbar für die viele Hilfe, die Infos und die netten Kontakte, die wir durch das Herzkinderforum von anderen Eltern, Dr. IvB und Edith Rönnebeck von der IdHK bekommen haben.

Eva Götz

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September 2001

 

   
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