Marius

Pulmonalatresie mit VSD und Aortenstenose

 

 

Wenn Du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es Dir sein,

als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne,

weil ich auf einem von ihnen lache,

Du allein wirst Sterne sehen, die lachen können.

Antoine de Saint-Exupéry

 

Sternguckerkind

Marius Michael Loger

* 4. März 2007

† 16. Mai 2007


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Herzfehler:

Pulmonalatresie mit VSD und Aortenstenose

 

* 4. März 2007 † 16. Mai 2007

04.03.2007 nach 9 Monaten im wohlig warmen Bauch von Mama muss ich heute raus, ich weiß zwar nicht warum aber irgendwie ist wohl heute der Rauswurf angesagt. Und da ich von der schnellen Truppe bin dauert das auch nur 2,5h. Das die Hebammen mich Sternguckerkind nennen nur weil ich mit dem Gesicht nach oben (hab halt in der Bedienungsanleitung das sich Umdrehen überlesen) geboren bin find ich irgendwie nett. Auch wenn es für Mama wohl nicht so toll war. Ach ja bin 3250g schwer und 54 cm lang.

05.03.2007 Ein schöner Tag, alle sind froh mich zu sehen, und bei Mama und Papa im Arm ist’s auch ganz nett. Heute ist auch noch so ein Riese gekommen, da hab ich dann etwas dumm geschaut… man ist der riesig, aber lieb. Und eine Frau mit Namen Heike war auch da. Sie redete sehr viel und sagte, sie sei stolz auf Mama, dass sie „es“ nun endlich geschafft habe.

06.03.2007 Irgendwie geht’s mir nicht so gut, und ein Doktor schaut mich besorgt an.

Werde im Entbindungskrankenhaus auf die Intensivstation gebracht. Ich glaube Mama und Papa machen sich Sorgen. Gegen Mittag werde ich mit einem Krankenwagen in das Deutsche Herzzentrum verlegt. Herr Dr. B. untersucht mich recht lange und Papa besucht mich noch kurz, und gibt mir ein wenig Muttermilch mit einer Spritze. Auf den letzten Millilitern rutscht Papa die Spritze durch, so dass ich jetzt den Mund voller Milch habe und ganz schön dicke Backen mache. Schmeckt aber gut, also wird’s runtergeschluckt.

07.03.2007 Der Dr. E. macht heute bei mir eine Herzkatheteruntersuchung, und mir geht es danach so schlecht, dass mir erst einmal schwarz vor Augen wird. Ich spüre, dass Mama und Papa sich schreckliche Sorgen machen, dass ich nicht mehr aufwache. Die Ärzte glauben nämlich nicht mehr daran. (ich glaube Ärzte sind immer Pessimisten)

08.03.2007 Die Nacht habe ich ein wenig verbessert, so dass sie mich doch noch operieren können. Dr. L. macht die OP, von der ich aber nichts merke da ich ja tief und fest schlafe… (das kann ich ja auch sehr gut… ich meine schlafen).

09.03.2007 Die Ärzte glauben schon wieder, dass ich in das warme Licht (das ich auch schon von weiten gesehen habe) gegangen bin. Aber ich möchte meine Eltern noch besser kennen lernen. Und Mama erzählt mir die ganze Zeit, dass ich doch ihr Wakeboarder und Wassersportler sei. Und wie schön es in den verschneiten Bergen beim Snowboarden ist. Und dass wir doch wandern gehen wollen im Sommer. Was das alles ist, weiß ich nicht, aber klingt nett, so nett, dass mich das neugierig macht und ich dem Licht ne erneute Abfuhr gebe.

10.03.2007 Mama und Papa kommen schon früh morgens um 6 Uhr zu mir. Dr. A. macht nämlich ein sehr bekümmertes Gesicht. Er sagt, meine Werte seien so schlecht, ich würde wohl gehen wollen. Den ganzen Vormittag sitzen meine Eltern bei mir und  meine Mama hält immer meine Hand, so dass ich Ihre Wärme fühlen kann. Ja, Dr, A. weiß natürlich nicht, dass ich bei Mama und Papa bleiben will. Jetzt zu gehen, wäre einfach zu früh, und so entferne ich mich mal wieder von dem doch so wohlig warm aussehendem Licht.

13.03.2007 Mir geht es besser, und endlich entspannen sich auch Mama und Papa mal ein bisschen. Aber am Nachmittag bekomme ich keine Luft mehr, weil mein Herz stehen bleibt.

Aber der liebe Dr. B. und Schwester Christina kümmern sich sehr, so dass ich nach 45 Minuten dem Licht entrissen werde. Ich spüre, dass Mama und Papa kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehen.

14.03.2007 Nach der Eskapade von gestern erhole ich mich langsam wieder. Das erste Mal nach langer Zeit schauen meine Eltern und ich uns wieder in die Augen.

15.03.2007 Dr. Sch., der mich auch mit operiert hat, kommt mit Nadel und Faden und näht meine große Wunde zu. Merkwürdiges Gefühl, ein bisschen eng wird es mir in meinem Bauch. Aber das geht bald vorbei. Mama und Papa halten meine Hände.

??.03.2007 Ich schlafe viel, und spüre dass sich mein Körper langsam erholt. Pipi machen geht nicht, deshalb wird bei mir eine Dialyse durchgeführt, das ist blöd, da ich jedes Mal auch eine Blutkonserve bekommen muss.

20.03.2007 Ich mache meine Augen wieder auf und brauche keine Beatmung mehr (menno, die war vielleicht unangenehm. Mama und Papa sind sehr froh, obwohl sie besorgt auf meine kaputte Stupsnase schauen.

21.03.2007 Habe heute ganz großen Durst. Deshalb habe ich mir auch 45 ml Mamamilch geben lassen – hab alles selbst getrunken. Dr. B. hat ein erstauntes Gesicht gemacht - ich werde halt immer unterschätzt. Und dann immer das Gerede, dass eventuell in meinem Oberstübchen nicht alles in Ordnung sein könnte. Die haben wirklich keine Ahnung. Mama macht sich Sorgen wegen des Zitterns, doch das kommt nur von meinem Entzug. War halt oft auf einem Morphium-Trip und den Stoff bekomme ich nun nicht mehr so viel…

22.03.2007 Bin heute schlecht gelaunt, weil mein Popo weh tut. Der ist vom Kalium, was ich per Sonde kriege, ganz wund geworden. Vormittags ist mein Papa da und nachmittags Mama, beide habe ich ein wenig ausgeschimpft. Auch Tante Heide sehe ich das erste Mal. Mama hat mir immer gesagt, sie sei etwas unkonventionell – ich finde sie sehr lieb. Erst als Mama geht, schlafe ich ein.

24.03. 2007 An diesem Tag wird probiert, statt richtiger Dialyse eine Bauchfelldialyse durchzuführen. Dies sei schonender. Die Umstellung dauert aber etwas. Das Atmen fällt mir wieder schwerer, weil ich so dick geworden bin. Mama sagt, sie würde mir so gerne was abnehmen.

25.03.2007 Heute ist Sonntag. Mama und Papa kommen erst nachmittags zu mir. Ich bekomme wieder Atemunterstützung und die richtige Dialyse. Mama weint viel, weil das doch wieder ein kleiner Rückschritt ist. Schon um 18 Uhr gehen die beiden wieder. Gerne möchte ich Ihnen sagen, dass das doch in Ordnung ist und sie sich auch ausruhen müssen für all die anderen Tage, die wie noch zusammen haben.

26.03.2007 Ein netter, älterer Kinderchirurg kommt vom Krankenhaus Schwabing und will mir einen festen Zugang im Bauch für eine Bauchfelldialyse legen. Der soll mir bloß wegbleiben mit seinem Skalpell! Schnell mach ich noch etwas Pipi direkt in seine Richtung. Aber das hält ihn nicht ab. Doch ich verspreche, ich mache jetzt immer in die Windel bzw. in den Katheter. Ich will diesen blöden Plastikstöpsel in meinem Bauch nicht.

28.03.2007 Bekomme ein Langzeit-EKG wegen leichter Herzrythmusstörungen. Aber dafür darf ich das erste Mal wieder in Mamas Armen liegen. Das ist ein so schönes Gefühl, es wackelt und schaukelt, ich spüre ihre Wärme, ihren Atem, ihren Herzschlag. Einfach toll, fast wie im Bauch in alten Zeiten. Was nicht so gut ist, dass ich ab heute keine Mamamilch mehr bekommen darf, weil ich Lymphflüssigkeit ausscheide.

30.03.2007 Schlechter Tag heute: Habe wohl einen Infekt abbekommen und muss wieder intubiert werden. Bekomme Antibiotika und Mama und Papa machen sich wieder einmal große Sorgen um mich. Mama streichelt meine Arme und Beine. Wir schauen uns ganz intensiv in die Augen.

11.04.2007 Vormittags darf ich das erste Mal mit meiner Mama eine Runde im Kinderwagen drehen. Und zwar sogar über den Flur außerhalb der Intensivstation. Da habe ich Augen gemacht. Das ist doch mal was ganz anderes, als immer nur im Bett zu liegen. Die ganze Zeit habe ich gelächelt. So viel Freiheit! Am Nachmittag werde ich verlegt in die Normalstation. Da ist es ganz anders, etwas lauter und die Leute sind nicht so ernst.

15.04.2007 Die Sonne scheint, als wäre Sommer. Mein Zimmer wird nachmittags immer sehr warm. Mama massiert meinen Rücken und meine Füße mit Öl, nachdem sie mich das erste Mal selbst gewaschen hat. Das genieße ich sehr. Oh ja, noch etwas mehr rechts unten bitte, ja genau da! Klasse! Mamamilch darf ich auch wieder, aber ich schaffe nur 10 ml selbst zu trinken.

24.04.2007 Oma und Opa sind da! Der Opa ist vielleicht groß. Sie finden mich wohl ganz niedlich, denn sie machen viele Fotos von mir. Papa legt mich bei Opa einfach so in den Arm, der schaut aber etwas überfordert aus der Wäsche. Hat wohl schon lange keinen kleinen Wonnepropen im Arm gehabt (dabei finde ich es doch schön hier). Mama und Papa schauen etwas gestresst aus. Ich weine auch viel, weil mein Bauch so voller Luft ist und das tut weh. Deshalb will ich auch immer auf den Arm, da geht es mir einfach viel besser.

Anfang Mai 2007 Heute ist der Chinese Xuejun wie so oft zu Besuch in meinem Zimmer. Seine Tochter Elena liegt auch hier im Krankenhaus. Er sagt immer, ich sähe aus wie Buddha. Wer zum Kuckuck soll das sein? Außerdem sagt er, meine Füße seien so groß und die Zehen so lang, damit könne ich leicht Klavier spielen. Er ist sehr lieb, aber er schaut auch immer besorgt aus, weil es seiner Tochter nicht so gut geht.

05.05.2007 Gerade ist was ganz Schönes geschehen: ich darf mit meiner Mama allein ein Zimmer beziehen. Wir können Tag und Nacht zusammen sein. Das beruhigt mich sehr, denn meine Mama ist mir doch für meine Versorgung viel lieber als die liebste Schwester. Und es ist hier auch viel ruhiger. Schnell werden wir ein gutes Team, meine Mama und ich. „Flieg, Popo, flieg“, sagt Mama, wenn sie meinen Po in die Höhe hebt, um mir eine neue Windel unterzulegen. Windeln verbrauche ich in Mengen, da ich immer sehr hörbar in jene hineinknattere, und zwar im Stundentakt. Und was ich auch mag, ist mein Mobile über dem Bett. Das ist ein Clown-Karussel. Heike, die Freundin von meiner Mama, hat mir das Ding ganz genau erklärt und mir gesagt, ich solle mir einen Namen für den Clown einfallen lassen. Ein paar Tage später teilte ich Mama mit, der Clown heißt Egon. Verwöhnt werde ich auch hin und wieder. Dann darf ich mit zu meiner Mama ins Bett und kuscheln. Auch massiert werde ich dann manchmal. Ganzkörpermassage, die mir später vom Taschengeld abgezogen wird, sagt Mama im Scherz. Papa ist abends meistens da und passt auf mich auf. Mama kann während der Zeit dann im Campingbus unten an der Straße etwas schlafen und ausruhen. Die Zeit hier im Mutter-Kind-Zimmer ist sehr intensiv. Ich merke, wie meine Eltern immer sicherer werden im Umgang mit mir. Als hätten wir alle noch nie etwas anderes gemacht. Es geht mir immer besser und bald schon reden die Ärzte bei der Visite von Entlassung.

16.05.2007 Heute kommt das Licht um mich abzuholen, Mama weiß es noch nicht, aber ich schon. Ich möchte schnell gehen, auch wenn ich Mama und Papa ungern hier zurücklasse. Aber es ist besser so, ich möchte Ihnen nicht Jahre voller Sorgen und Ängste bereiten. Nur leider wissen Sie nicht, dass es mir hier besser geht.

Ich werde auf sie warten, und irgendwann sind wir dann wieder alle vereint. Und bis es soweit ist, mache ich meinen Namen, den die Hebammen mir gaben, alle Ehre, und passe von hier oben auf Mama und Papa auf. Denn ich bin ein echtes Sternguckerkind!

Ich würde es schön finden, wenn Ihr meinen Namen fröhlich aussprecht, und nicht mit einem Stich in euren Herzen. Denkt an mich, aber seid nicht traurig!

In Liebe

Euer Marius Michael

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Mamas Gedanken zu Marius, wie er sich verhalten hat und was er für Angewohnheiten hatte:

Nach dem Schlafen hat er sich immer gereckt und sich ganz lang gemacht, die Arme nach oben gehalten und dabei herzhaft gegähnt. Ich fragte dann immer: „Sooooo groß bist du!?

Manchmal war er nach dem Schlafen gut gelaunt und hat gelacht, manchmal war er auch schlecht drauf und hat sofort das Meckern angefangen.

Am Tag vor seinem Tod hat er von mir den Schnuller in die Hand gedrückt bekommen. Er hat ihn das erste Mal festgehalten und wie irrsinnig mit großen Augen draufgeschaut. War zum Kaputtlachen. Frau Cux (vom Sozialen Dienst) und ich haben uns amüsiert.

Beim Windelwechsel hat er ganz schön mit den Beinen gestrampelt. Überhaupt hat er sich immer prompt beschwert, wenn etwas in der Windel war.

Wenn Marius sich ganz doll geärgert hat, hat er beim Schreien seinen Kopf hin und her geworfen. Als wenn er einen Tobsuchtsanfall bekommt, oh je, oh je…. Zwergenalarm!

Wenn wir zusammen in meinem Bett gelegen haben, kam es vor, dass er sich richtig zu mir gedreht und sein Gesicht in meiner Achselhöhle versteckt hat. Wollt wohl ganz eng kuscheln. Das hat er bei Michael auch gemacht.

Oft hat Marius beim Schlafen ganz schlau ausgesehen, weil er seinen Zeigefinger ans Kinn oder an die Schläfe gehalten hat, als wolle er scharf nachdenken.

 

 

 

   
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