Julius
d-TGA, Pulmonalstenose, ASD, VSD, Facialisparese
Liebe Forumteilnehmer,
Ihr habt schon viel von Julius gehört. Jetzt wollen wir Euch seine Geschichte endlich ausführlich erzählen.
Julius wurde am 11.09.1998, 2 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin, geboren.(Gewicht : 2850g; Größe: 50 cm)
Nach einer recht unangenehmen Schwangerschaft, mit dauernder Übelkeit, war mein letzter Satz vor dem Sprung der Fruchtblase: "Ich hab` die Schnauze voll", da ich während dem Mittagessen wieder einmal zur Kloschüssel rennen mußte.
Unser noch ungeborene Sohn hat das wohl auch so gesehen und prompt ist die Blase geplatzt.
Wir haben im Heidelberger Gebärzimmer (angegliedert an die Uni-Frauenklinik) entbunden, wo auch unsere Tochter Caroline (4 Jahre alt) geboren wurde. Während dem "Ausschlüpfen" hatte Julius das rechte Auge bereits geöffnet und es schloß sich auch nicht mehr, weder beim Schreien noch beim Schlafen. Diagnose der Hebammme: halbseitige Gesichtlähmung ( Facialisparese). Routinemäßig wurde er auf der Neugeborenenstation der Frauenklnik dem diensthabenden Stationsarzt vorgestellt, aber es wurden keine sonstigen Auffälligkeiten festgestellt.
Die folgende Nacht verbrachten wir gemeinsam zu Hause, nicht ahnend, daß dies die letzte gemeinsame Nacht für die nächsten 5 1/2 Monate sein sollte. Wir haben noch lange von dieser Nacht gezehrt. Julius war die Nacht über recht unruhig und ab 7 Uhr morgens hat er nur geschlafen.
Am Nachmittag fuhren wir dann fröhlich mit unseren Kindern in die Ambulanz der Heidelberger Kinderklinik zur routinemäßigen Streptokokken-Anamnese, da ich in der Schwangerschaft wieder mal Streptokokken-positiv war. Wir suchten dabei immer noch nach einem Namen für unseren Sohn.
Als wir Julius dort auszogen, wachte er auf und schrie. Dabei wurde er dunkelrot und bald kam ein Arzt von der allgemeinen Intensivstation mit Sauerstoff gerannt und hat Julius auf diese Station zur Untersuchung mitgenommen. Im Nachhinein erfuhren wir, daß sich wohl zu diesem Zeitpunkt der Ductus schließen wollte, und somit das Blut nicht mehr in die Lunge fließen konnte.
Kurz darauf wurde mir die Diagnose "Herzfehler" genannt und nach ausführlichem Ultraschall uns beiden genau die Art des Herzfehlers erklärt: Julius hat eine Transposition der großen Arterien ( d-TGA), eine hochgradige Pulmonalstenose ( PA:Pulmonalatresie), einen ASD und VSD. Wir waren wie gelähmt, nickten nur und verstanden nur Bahnhof. Zudem wurde auch der Verdacht auf irgendein Syndrom genannt.
Folgendes war geplant: Den Ductus mit Prostaglandin E (Minprog) offenhalten, Herzkatheteruntersuchung, Julius so gut wie möglich gedeihen lassen und dann eine Palliativ-OP (AP-Shunt zur Lungendurchblutung) durchführen. Mit 1 oder 1 1/2 Jahren solle dann die Korrektur-OP stattfinden. Julius ist aber einen ganz anderen Weg gegangen, einen langen Weg voller Licht und Schatten. Um die Beschreibung dieses langen Weges abzukürzen, verwende ich jetzt die Tagebuchform.
13.09. : Nach 2 Tagen O2-Brille wird Julius intubiert. Wir sehen ihn dann morgens sogar an der Hochfrequenzoszillations-Beatmung, bei der sich der Oberkörper in einem gewissen Rhythmus schüttelnd bewegt. Das war ein schrecklicher Anblick! Zum Glück kam nach einigen Stunden die "normale" künstliche Beatmung dran. Bis zur OP gab es 3 - 4 Extubationen (und Reintubationen). Hoffnung und Enttäuschung gaben sich die Hand. Unsere Frage: Kann Julius überhaupt alleine atmen ?
25.09.: Julius hat total niedrige Blutzuckerwerte ( Hypoglykämien). Selbst 20%ige Glukose nützt nichts mehr. Noch mehr Perfusoren werden angehängt, um den erhöhten Insulinspiegel ( Diagnose: Hyperinsulinismus; wieviele Diagnosen werden wohl noch getroffen ?) mit Hormonen (Somatostatin und Diazoxid) zu bekämpfen. Der Oberarzt meint treffend."Julius gibt das Tempo vor, wir können ihm nur hinterherrennen."Unter diesen kritischen Stoffwechselbedingungen wollen die Chirurgen nicht operieren. Es kommt schon zum Gespräch über eine mögliche Bauchspeichel-OP aber Julius überlegt es sich anders und seine Blutzuckerwerte pendeln sich nach 3 Wochen wieder auf akzeptablem Niveau ein. In dieser Zeit wurde alle 2 Stunden der Blutzucker gemessen, d.h. er mußte 12 mal am Tag gepiekst und gequetscht werden! Er war an allen Fingern und Fersen grün und dunkelblau.
24.10. : Julius wird auf Station getauft. Die ganze Familie ist da und wir singen sogar für ihn " Ich schenk` Dir einen Regenbogen". Joachim begleitet uns dabei auf der Gitarre. Sein Taufspruch:"Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit."
28.10. : Die OP verläuft gut, abgesehen von einer "kleinen" Reanimation nachts um 1.00 Uhr. Extubation nach 5 Tagen. Dann wieder Rachen-CPAP ( kürzerer Beatmungsschlauch; weniger Beatmungsdruck) vom 2.11. bis 9.11. Ab diesem Zeitpunkt muß nun sein rechtes Auge zugeklebt werden. Grund ist die Tatsache, daß er aufgrund seiner Gesichtslähmung dieses Auge nicht schließen und somit nicht befeuchten kann. Das Auge entwickelt zu diesem Zeitpunk einen Hornhautdefekt und die Gefahr ist, daß sich dort Keime ansiedeln. Erste Trinkversuche, doch nicht nur der Herzfehler und die lange Beatmung, sondern vor allem die Gesichtslähmung, machen es ihm sehr sehr schwer. Ich nehme auch langsam Abschied vom Thema "Stillen", obwohl ich bis zu Julius` Entlassung, also 5 1/2 Monate lang, mehrmals täglich Muttermilch abpumpe. Aufgrund der Gesichtslähmung klappt die Ernährung bis heute fast ausschließlich per Magensonde.
Ende November - Julius war schon mit einem Fuß zu Hause - wird per Ultraschall ein Perikarderguß ( Flüssigkeitssammlung im Herzbeutel) diagnostiziert. Wieder neue Medikamente. Wieder neue Infekte. Julius zieht auch hier das letzte Register, denn der Herzbeutel wird wohl punktiert werden müssen.
6.12. : Wir dürfen "Familie" spielen und uns 4 Stunden lang im Elternzimmer mit Caroline und Julius aufhalten: Ich nenne es spaßeshalber "Hafturlaub".
13.12. : Es ist kaum zu glauben. Julius hat eine RSV-Pneumonie und wird wieder intubiert. Wir sind total am Boden!
18.12. : Anruf von der Klinik. Der Herzbeutel muß jetzt sofort punktiert werden! Insgesamt 85 ml Flüssigkeit werden abgesaugt. Die Drainage bleibt einen Tag liegen und wird dann gezogen. Die Flüssigkeit sammelt sich wieder an. Wenige Tage später Extubation.
30.12. : Erneute Punktion ist nötig. Julius wird dafür nicht extra intubiert. Als er bereits 1 h lang wieder auf Station ist und alles gut gegangen ist, fahren wir zu Hause los. Als wir dort 45 min später ankamen hatte Julius gerade eine Reanimation hinter sich und war wieder intubiert. Anstatt der Flüssigkeit war pures Blut durch die Drainage befördert worden. 60 ml Blut wurden abgezogen und 40 ml hat er sofort wieder injiziert bekommen. Blutkonserven folgten. Einen Tag später hat er uns wieder angeguckt. Lachen kann Julius übrigens bis heute nicht. Liegt das an der Gesichtslähmung oder hat er einfach keinen Grund zum Lachen? Diesmal bleibt die Drainage mehrere Tage liegen und saugt immer noch ein bißchen Flüssigkeit ab. Dann erst wird sie gezogen. Julius erholt sich langsam. Da sich wieder Flüssigkeit am Herzbeutel ansammelt, wird schon wieder von OP gesprochen. Man würde den Herzbeutel "fenstern" ( löchern), damit die Flüssigkeit sich nicht ansammelt, sondern gleich von der Lunge absorbiert wird. Irgendwann wieder Extubation. Zum Glück bleibt es bei dem geringen Flüssigkeitssaum ums Herz. Trotzdem hatten wir lange Zeit Angst vor jedem Ultraschall .
15.01.: Julius hat anhaltende Bradykardien (niedrige Herzfrquenz) und bekommt wieder intravenös Katecholamine . Zeitgleich irgendein Magen-Darm-Virus. Julius wiegt nur noch 2980 g. Mit 4 1/2 Monaten nur 130 g mehr als bei der Geburt! Julius erholt sich langsam wieder.
Am 1.02. und 3.02. darf Julius tagsüber nach Hause. Mit tragbarem Absauggerät, Pulsoximeter und Sauerstofflasche. Dann wieder ein Infekt. Julius braucht wieder eine O2-Brille. In der Zeit verschlechtert sich sein Hornhautdefekt wieder und wir entschließen uns nach langem Ringen zu einer Oberlidnaht, die das Auge konsequenter geschlossen halten soll. Dabei wird ein Faden durch das Oberlid gezogen, verknotet und mit einem Faden an der Backe festgeklebt. Alle 4 Stunden muß das Auge geöffnet, gewischt,getropft, gesalbt und wieder verschlossen werden.
Aufgrund des Nicht-Gedeihens und des ständigen Sauerstoffbedarfs wird jetzt von einer weiteren Herzkatheteruntersuchung gesprochen. Da der VSD Anstalten macht kleiner zu werden und Julius ihn ja braucht, will man versuchen den VSD zu vergrößern und einfach mal die Druckverhältnisse in den einzelnen Herzkammern messen. Aber es kommt wieder einmal anders.
18.02. : Julius wird sicherheitshalber für die HK-Untersuchung intubiert. Bei ihm muß man inzwischen ja mit allem rechnen. Während der Untersuchung spüre ich in mir den Entschluß reifen, egal was kommt, Julius nicht mehr operieren zu lassen. Ich möchte das nicht kommentieren, denn ich kann es nicht genau erklären. Treffender als es in den Entlasspapieren von Julius steht, kann ich es nicht formulieren: "Nach ausführlicher Darstellung der Befunde konnten sich die Eltern aufgrund der schwierigen Gesamtsituation und nach der langen Hospitalisierung des Kindes derzeit nicht zu einem risikobehafteten operativen Eingriff entschließen."
Das Ergebnis des HK war nämlich: Am VSD wurde nichts gemacht, da das die kardiale Situation nicht groß beeinflußt hätte. Allerdings ist leider Julius` Pulmonalarterie nur so mitgewachsen, wie auch Julius nur geringfügig gewachsen ist. Man wird sie so aber nicht für eine Korrektur-OP "verwenden" können. Seine einzige Chance ist es, einen Homograft (Leichenteil) an Stelle der Pulmonalarterie einpflanzen zu lassen. Falls Julius die OP überleben würde, weiß niemand wie seine unterschiedlich entwickelte Lunge diesen Blutstrom ( durch einen 10-12 mm Homograft anstatt einem 4,5 mm Shunt) verkraften könnte. Da der Shunt mehr in die Richtung der einen Lungenhälfte ( ich weiß nicht mehr welche) zeigt, hat sich diese Lungenhälfte nämlich schön entwickelt, die andere leider nur minimal. Wahrscheinlich würde man auch prophylaktisch den Herzbeutel "fenstern", um einen erneuten Perikarderguß zu vermeiden´.
Unser Entschluß stand jetzt fest, Julius so schnell wie möglich nach Hause zu holen, um ihm dort noch eine schöne Zeit zu geben, eine Zeit ohne ständige Untersuchungen, Pieksereien und ZVKs. Wir fühlen, daß wir ihm das schuldig sind.
22.02. - 27.02.: Wir holen Julius tagsüber heim und bringen ihn abends in die Klinik. In der Zeit bekommen wir ein medizinisches Gerät nach dem anderen nach Hause geliefert.
28.02.: Offizielle Entlassung "an der langen Leine" aus der Kinderklinik. Aufgrund des Augenproblems bringen wir Julius eine Nacht pro Woche in die Kinderklinik.
9.03.: Das Auge wird nun zu 2/3 zugenäht. Aus unserer Sicht die beste Lösung für Julius, dann die 4stündliche Augenpflege hat ihn immer sehr stark gequält.
4.04.: Aufgrund andauernden hohen Fiebers, hoher Herzfrequenz und totaler Unruhe bringen wir Julius in die Kinderklinik. Daraus entwickelt sich ein Magen-Darm-Virus. Künstliche Ernährung über Tropf. Absolute Nahrungspause. Langsamer Nahrungsaufbau. Julius hätte den Infekt ohne künstlicher Ernährung sicher nicht überlebt. Gewicht: 3370 g.Entlassung: 12.04.
20.04.: Der Kinderarzt diagnostiziert eine Lungenentzündung. Es hört sich krass an, aber wir entscheiden uns bewußt gegen Intensivmedizin und Antibiotikum und wollen Julius wirklich seinen eigenen Weg gehen lassen, mit allen Konsequenzen. Wir haben auch noch das Hydrocortison abgesetzt, das er schon seit Monaten bekam. Er hat sich selbst aus diesem Infekt hochgerappelt, aber dabei seine letzen Reserven ( sprich: ca. 250 g) aufgebraucht. Seitdem fiebert er immer wieder auf und die Lunge ist mal mehr mal weniger "zu" mit Sekret. Ohne Sauerstoffbrille kommt er nicht mehr aus!
Wir sind Julius dankbar für jeden Tag, den er bei uns bleiben will !
Viele Grüße an alle von Ulrike, Joachim und Caroline und natürlich "Gruß und Kuß von Julius" !
27.05.1999
Ulrike Schmüser
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Julius ist am 30.05.1999 um 2.05 Uhr zu Hause gestorben.