Jens
Mitralatresie, hypoplastisches linkes Ventrikel, DORV, VSD
Hallo liebe Herzkinderforum-Teilnehmer
Hiermit möchte ich unsere Familie und vor allem unseren Sohn Jens vorstellen.
Jens ist 8 Monate alt, geboren am 10.12.1997. Er hat eine Mitralatresie, hypoplastisches linkes Ventrikel, DORV, VSD. Im Moment hat Jens ein Pulmonalisbanding, Ende '98 soll ein Glenn durchgeführt werden, später dann ein kompletter Fontan. Jens wird in der Heidelberger Uniklinik behandelt.
Jens hat zwei Schwestern, die Zwillinge Jodie und Pauline, die zwei Jahre älter sind als er. Mein Mann, Kees, ist Holländer. Wir wohnen in Seeheim bei Darmstadt.
Die Art und Weise, wie Jens uns drei Wochen nach seiner Geburt zu verstehen gab, daß er ein schwerkrankes Kind ist, war filmreif: Mein Mann und ich feierten Silvester 1997 in schönster Harmonie - stolz auf unsere prächtigen, gesunden Kinder. Am Nachmittag des 1. Januars schickte sich Jens plötzlich an zu sterben... Diesen Anblick werde ich wohl nie vergessen. Schweißüberströmt, grün im Gesicht, die Augen nach oben verdreht lag er in meinen Armen. Wir riefen den Rettungswagen, und fünf Minuten später standen sieben 'orangefarbene Tütataa-Männer' im Wohnzimmer, vor den entsetzten Augen von Jodie und Pauline. Sie nahmen Jens und Mama mit, und es dauerte zwei Monate, bevor Jens wieder nach Hause kam....
In der Kinderklinik Darmstadt stellte man glücklicherweise sofort die richtige Diagnose. Das Heidelberger Kinderherzzentrum wurde benachrichtigt und Jens sollte von den Heidelbergern innerhalb einer Stunde mit dem Hubschrauber abgeholt werden. Der Hubschrauber startete auch, mußte aber wegen schlechten Wetterverhältnissen umkehren - nach fünf Stunden kamen die Heidelberger mit dem Notarztwagen. Bis dahin wußten mein Mann und ich immer noch nicht, was eigentlich los war - außer, daß Jens auf dem Röntgenbild ein stark vergrößertes Herz hatte und der Darmstädter Kardiologe per Ultraschall einen komplexen Herzfehler konstatierte. Von all seinen Fremdwörtern verstand ich zu dem Zeitpunkt nur Bahnhof, und auf meine Nachfragen hin meinte er immer nur, die Heidelberger Spezialisten würden uns alles noch genau erklären. An der Reaktion der Oberärztin, die nur die Hände über dem Kopf zusammenschlug, und 'o Gott, o Gott' murmelte, merkte ich jedoch, daß es wohl etwas sehr Schlimmes sein mußte, was mit Jens nicht stimmt.....
In derselben Nacht erfuhren wir dann tröpfchenweise die ganze Wahrheit. Durch Jens' Mitralatresie konnte das venöse Blut nicht in den linken Ventrikel gelangen, sondern suchte sich seinen Weg über das Foramen Ovale in den rechten Vorhof. Der DORV war sozusagen Glück im Unglück, denn durch ihn konnte der Systemkreislauf ganz gut aufrechterhalten werden. Am 1. Januar war das Foramen Ovale bis auf ein winzig kleines Löchlein zugewachsen; alles Blut staute sich in die Lungen zurück, die nun kollabierten. Jens' Leben wurde gerade eben noch mit Hilfe einer Ballondilatation gerettet. Zwei Wochen später wurde dann ein pulmonales Banding gelegt und das Vorhofseptum noch einmal operativ erweitert.
Den insgesamt achtwöchigen Aufenthalt auf der Heidelberger Herzintensivstation würde ich persönlich als 'bitterschön' bezeichnen.
Bitter, weil man nicht nur um das Leben seines eigenen Kindes kämpft, sondern auch mit allen anderen Eltern und Kindern mitleidet. Da werden Neugeborene eingeliefert, die am nächsten Morgen verschwunden sind .... Oder man sieht ein Kind, von dem man ahnt, daß man es eines Morgens nicht mehr antreffen wird.
Schön, weil man den Schwestern und Ärzten der 'H3i' einfach Bewunderung entgegenbringen muß. Ich hätte nicht erwartet, daß ein solcher Teamgeist - wobei die Eltern vom Krankenhauspersonal als Teampartner und nicht als Störfaktoren betrachtet wurden - in einer derart belastenden Atmosphäre überhaupt existieren kann. Schön auch, weil für die meisten Eltern, die in Heidelberg mittlerweile Stammgäste sind, das Glas trotz aller Sorgen immer noch halb voll und nicht halb leer ist, und die einem mit ihrem Optimismus und ihrer Lebensfreude anstecken. Es kommt oftmals nur auf die richtige Sichtweise an. Ich denke, ich habe in den acht Wochen in Heidelberg mehr über das 'Menschsein' gelernt als je zuvor in meinem Leben. Und ich bin froh, daß ich dies alles erleben durfte, denn es hat völlig neue Horizonte eröffnet.
Jens geht es zwischenzeitlich sehr gut. Er ist putzmunter - wenn auch körperlich reichlich 'hintendran' - und wird von seinen beiden Schwestern heiß und innig geliebt. Auf ihn wartet voraussichtlich Ende '98 ein bi-direktionaler Glenn, zu einem späteren Zeitpunkt ein TCPC/Fontan.
Alles Gute und liebe Grüße
Anett Pöpplein und Kees Bossers
Oktober 1999
Nachdem sich Jens' Geburtstag nun schon fast zum zweiten Mal jährt, wird es Zeit seine Lebensgeschichte hier fortzusetzen.
Nachdem Jens Ende Februar '98 aus der Uniklinik Heidelberg entlassen worden war, verbrachten wir einen recht ruhigen Frühling und Sommer mit ihm. Es ging ihm gesundheitlich gut, bis auf die für herzkranke Kinder wohl üblichen Startschwierigkeiten: Alle zwei Stunden jeweils eine halbe Stunde essen - er war sehr schwach und trank nur winzige Mengen; viel Wäsche waschen und ein stets nervöser Blick auf die Babywaage - er spuckte viel und wollte die fünf-Kilo-Hürde einfach nicht überschreiten; durchwachte Nächte - er dachte nicht daran, sich den Prinzipien aus 'jedes Kind kann schlafen lernen' zu fügen, er verweigerte den Mittagsschlaf und wollte auch nach vier Wochen brüllen nicht in seinem eigenen Zimmer schlafen; keinerlei körperliche Entwicklung - dazu hatte er wohl einfach nicht die Puste. Alles in allem war er ein äußerst anhängliches und verkuscheltes, aber fröhliches Kind, das seine Familie sehr liebte.
Dann begann der Herbst, der Regen, und mit ihm eine Zeit, die uns an den Rand unserer Kräfte brachte. Jodie und Pauline kamen im September '98 in den Kindergarten und brachten vom Ernte-Dank-Fest einen Magen-Darm Virus mit nach Hause. Der beutelte Jens schwer und hatte einen Klinikaufenthalt zur Folge.
Danach folgte eine schwere Bronchitis, die im Zusammenhang mit der Vojta-Therapie (Krankengymnastik), der sich Jens auf Anraten seines damaligen Kinderkardiologen unterzog, beinahe fatal war. Wir brachten ihn in die Klinik, weil er uns tagelang vollkommen apathisch erschien und fieberte. In Heidelberg stellte man einen AV-Block zweiten Grades mit einer Herzfrequenz von 70 pro Minute fest, bei Sättigungswerten um die 70%. Man vermutete selbst eine Hirnhautentzündung und machte eine Rückenmarkspunktion und ein CTM. Die Untersuchungen gaben zu unserer großen Erleichterung keinerlei Hinweise auf eine Meningitis. Letztendlich war sein Zustand wohl auf totale Erschöpfung zurückzuführen. Nach zwei Wochen 'aufpäppeln' durfte Jens wieder nach Hause.
Anfang Dezember dann machte sich in unserer gesamten Familie der RS-Virus breit und schaltete fünf Menschen auf einen Schlag aus - langandauerndes, hohes Fieber; zwei von uns hatten Lungenentzündung. Weder mein Mann noch ich waren imstande, Jens die Pflege zu geben, die er in dieser Situation brauchte. Also brachten wir ihn für ein paar Tage in die Klinik, wo er seinen ersten Geburtstag feierte .....
Er wog zu diesem Zeitpunkt knappe sechs Kilo und brachte es nur mit Mühe fertig, sich vom Rücken auf den Bauch zu drehen - er hatte sich körperlich also nicht entwickelt und war mit 12 Monaten auf dem Entwicklungsstand eines vielleicht vier Monate alten Kindes.
Ernährung und Schlafverhalten waren katastrophal und eine große Frustration für uns Eltern. Jens aß inzwischen vom Löffel, aber jedes Stückchen, das in seinem Hals stecken blieb und jeder Löffel zuviel hatten zur Folge, daß der Mageninhalt der letzten 12 Stunden auf unserer Hose landete. Das passierte manchmal zweimal am Tag ...... Stuhlgang war für Jens wegen seiner chronischen Verstopfung eine Qual - er hatte einfach nicht die Kraft zum Pressen und mühte sich stundenlang ab. Nach all seinen Krankenhausaufenthalten hatte Jens wohl panische Angst vor dem Alleinsein, wollte partout nicht in seinem Zimmer schlafen. Er wurde durch die kleinsten Geräusche wach und schrie und jammerte dann stundenlang. Er akzeptierte niemanden außer Mama und Papa und war ein äußerst mißtrauisches Kind.
Inzwischen hatte eine Herzkatheteruntersuchung ergeben, daß Jens' Druckverhältnisse im Herzen nun optimal waren für die erste große Operation, die für Januar 1999 angesetzt wurde. Durch teilweise Trennung der Blutkreisläufe sollte durch diese 'Anastomose nach Glenn' sein Herz entlastet und ihm die Möglichkeiten vor allem zu körperlicher Entwicklung gegeben werden.
Ich muß erwähnen, daß mein Mann und ich seit Bekanntwerden von Jens' Herzfehler tagtäglich grübelten, ob wir wirklich in einer optimalen Klinik waren, ob wir Jens nicht in den USA operieren lassen sollten, ob wir eine zweite Meinung einholen sollten ...... Wir wollten unbedingt sicher sein, daß unser Jens in die besten Hände kommen würde und waren sehr skeptisch (sind es nach wie vor), ob in den unzähligen Krankenhäusern in Deutschland, in denen am Herzen operiert wird, auch wirklich genügend Erfahrung gesammelt werden kann, um auch mit Ausnahmefällen und Komplikationen umgehen zu können. Von vielen Seiten erfuhren wir von den tollen OP-Erfolgen in den USA, wo schwer herzkranke Kinder bereits nach fünf Tagen entlassen werden konnten, selbst wenn sie in Deutschland als hoffnungslose, inoperable Fälle galten. Wir versuchten über alle möglichen Quellen herauszufinden, was wohl das ,Geheimnis' der Amerikaner ist - erhielten aber bis heute noch keine befriedigende Antwort.
Weihnachten 1998 war geprägt von der Sorge um Jens. Denn wieder lag er zuhause nur apathisch da und fieberte vor sich hin. Als das Fieber nach drei Tagen noch stets nicht gesunken war, entschlossen wir uns in die Uniklinik zu fahren. Dort wurde er untersucht und geschallt. Man konnte außer seiner Apathie und der Tatsache, daß er einem einfach nicht so recht gefiel, jedoch nichts feststellen. Man riet uns aber, Jens über Nacht zur Beobachtung im Krankenhaus zu lassen. Innerhalb von ein paar Stunden verfiel Jens dann zusehends. Das Röntgenbild zeigte eine Lungenentzündung. Man machte zur Vorsicht nochmals eine Hirnwasseruntersuchung. Nachts um kurz vor zwölf wurde dann der Oberarzt einberufen, der eine Nachricht überbrachte, die uns wie ein Hammerschlag traf: Pneumokokken Meningitis. Ein Todesurteil, wenn wir erst einen Tag später nach Heidelberg gefahren wären, sagte man uns.
Da hatten mein Mann und ich uns fast ein ganzes Jahr lang um die anstehende OP gesorgt und dann wäre es wegen einer ganz anderen Krankheit beinahe nicht zu dieser OP gekommen! Diese Tatsache machte uns sehr, sehr nachdenklich......
Wieder verbrachten mein Mann und ich Silvester und Neujahr in der Uniklinik. Glücklicherweise schlug die Antibiotikatherapie gut an. Jens erholte sich und wurde nach drei Wochen aus der Klinik entlassen. Aufgrund dieser schweren Krankheit mußte der OP Termin natürlich verschoben werden und es galt nun, Jens in einen Zustand zu bringen, in dem eine Operation an der Herz-Lungen Maschine überhaupt möglich sein konnte.
Inzwischen war unsere Familie psychisch ziemlich weit unten. Jens klammerte sich wie ein Äffchen an seine Mama und brach in Panik aus, wenn ihm jemand zu nahe kam. Die Mädchen, für die der Beginn des Kindergartens ja eine schwierige Zeit des Umgewöhnens und Abnabelns bedeutete, mußten sich darüberhinaus noch mit den verschiedenen Haushaltshilfen arrangieren, die sie während Jens' Klinikaufenthalten betreuten. Alles drehte sich um Jens, und alles kam immer aus heiterem Himmel. Mein Mann war viel auf Geschäftsreisen und hatte wohl ständig das Gefühl, nicht dort zu sein, wo er am dringendsten gebraucht wurde. Ich selbst war vor allem unendlich müde und geschafft und meine Nerven lagen blank.
In Anbetracht dieser Tatsachen wurde uns ans Herz gelegt, den Monat Februar auf der Katharinenhöhe zur familienorientierten Rehabilitation zu verbringen, um dann im März '99, physisch und psychisch gestärkt, Jens' ,bidirektionalen Glenn' in Angriff nehmen zu können. (Vielen Dank an dieser Stelle an Professor Ulmer, der sich höchstpersönlich mit der Katharinenhöhe, unserer Krankenkasse und dem medizinischen Dienst auseinandersetzte und dadurch den Kurantritt im Februar möglich machte.)
Und tatsächlich stabilisierte sich Jens während der Reha zusehends - er nahm immerhin 500g an Gewicht zu, schlief wesentlich ruhiger, wurde fröhlicher, fing an zu babbeln und ließ sich sogar für ein Weilchen in der Krabbelgruppe betreuen.
Am 25. März war es dann soweit. Um 9 Uhr morgens lieferte ich meinen Jens in optimaler Verfassung an der OP-Pforte ab. Putzmunter, infektfrei, mit guten Druckverhältnissen in der Lungenschlagader - überhaupt die Voraussetzung für das Gelingen des ,Glenn'. Wir wußten, daß die OP keine einfache war und waren darauf eingestellt, erst am späten Nachmittag wieder vom Herzchirurgen zu hören. Trotzdem hatten wir großes Vertrauen, daß alles klappen würde
Um circa zwei Uhr rief uns Professor Ulmer, Leiter der kardiologischen Abteilung, an und bat uns, dringend zu ihm zu kommen. Das mußte bedeuten, daß etwas nicht planmäßig verlaufen war! Ich kann mich noch sehr gut an den Wortlaut der Hiobsbotschaft, die dann kam, erinnern: "Jens befindet sich noch im Operationssaal. Die Glenn'sche Anastomose wurde wie geplant durchgeführt. Wir haben aber im Moment das Problem, daß wir Jens nicht mehr von der Herz-Lungen Maschine wegkriegen. Jedesmal, wenn wir die Maschine abstellen wollen, erhöht sich der Gefäßwiderstand in der Lunge und das Blut staut sich in den Oberkörper zurück. Die Lunge toleriert also die veränderten Verhältnisse nicht. Wenn dieser Zustand anhält, muß der Glenn wieder rückgängig gemacht werden. Das heißt, alles muß wieder in den Originalzustand zurückversetzt werden. Die Lage ist sehr kritisch und es ist mit Komplikationen zu rechnen, vor allem durch die vielen Stunden an der Herz-Lungen Maschine. Ich weiß nicht, was im Moment im OP passiertund wie sich Professor Hagl entscheiden wird. Ich rufe Sie an, sobald ich mehr weiß ..... "
In diesem Moment brach für uns eine Welt zusammen. Die Lungen spielten nicht mit! Über die Lungen hatten wir uns nie Gedanken gemacht! Es folgten Stunden, die wir wie in Trance verbrachten. Um 18 Uhr erfuhren wir dann, daß der Chirurg doch noch einen Ausweg aus der Situation gefunden hatte und der Glenn nicht rückgängig gemacht werden mußte. Er hatte das Pulmonalisbanding wieder etwas gelockert, wodurch das Herz etwas Blut in die Lunge pumpen konnte. So würde diese Zeit haben, sich an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen. Jens' Zustand sei im Moment stabil. Wir durften Jens dann kurz sehen und fuhren einigermaßen beruhigt nach Hause. Auch am nächsten Morgen, bevor wir uns auf den Weg nach Heidelberg machten, erklärte man uns am Telefon, daß alles stabil sei.
Wir hatten gerade den Krankenhausparkplatz erreicht, als das Autotelefon klingelte. Es war der Herzchirurg: Jens' Lunge blockiere wieder, alles Blut würde im Oberkörper zurückgestaut und man müsse sofort die ganze OP des Vortages wieder rückgängig machen. Dies sei ein äußerst kritisches Unterfangen mit ungewissem Ausgang, aber er brauche unsere Zustimmung, um sofort mit den Vorbereitungen beginnen zu können. Er würde aber auf uns warten, damit wir Jens nochmals sehen könnten...... um Abschied zu nehmen?
Ich war mir eigentlich ziemlich sicher, daß dies unsere letzten Minuten mit Jens sein würden. Im Geiste sagte ich ihm, daß ich seine Entscheidung akzeptieren werde, egal wohin sie führt. Aber daß wir uns unheimlich freuen würden, wenn er sich entschließen könnte, bei uns zu bleiben und noch ein paar Jahre mit uns zu verbringen.
Am 26.3. um 10 Uhr morgens wurde Jens dann zum zweiten Mal in den OP gebracht. Mein Mann und ich spazierten den ganzen Tag im Nieselregen am Neckar entlang und bereiteten uns auf ein Leben ohne Jens vor. Wir hatten gerade ein Haus gekauft mit drei Kinderzimmern, das wir im Mai beziehen wollten..... Bestand noch ein Fünkchen Hoffnung, daß Jens mit uns dort einziehen würde?
Nach erneuter achtstündiger Operation wurden wir zum Chirurgen gerufen. Der erklärte uns, daß die Operation zwar gelungen, Jens' Zustand aber absolut grenzwertig sei und er ihm bessere Chancen als 50/50 nicht einräumen könne. Die Art und Weise, wie Jens' Lunge reagiert habe, sei ein absolutes Phänomen, und man habe die medizinischen Möglichkeiten voll ausgereizt, so daß jetzt nur noch Jens bestimmen könne, wo er hin wolle. Die nun folgende Nacht war die schlimmste unseres Lebens.
Aber Jens hielt bis zum nächsten Morgen durch. Seine Lunge hatte glücklicherweise auf das gefäßerweiternde NO-Gas (Stickstoffmonoxid) reagiert. Ich denke, diese Gasflasche - die, wenn ich es recht begriffen habe, in Deutschland eigentlich nicht zugelassen ist, weil man die Auswirkungen von Stickstoffmonoxid noch nicht genau erforscht hat - hat Jens das Leben gerettet. Und natürlich sein eiserner Wille.
Jens war mehrere Wochen beatmet, sediert, relaxiert und schmerztherapiert (als Laie würde ich so etwas vielleicht künstliches Koma nennen). Am Karfreitag - eine Woche nach OP - bekam er eine schwere Lungenentzündung, die in einem solchen postoperativen Zustand oft tödlich ausgeht. Lange Zeit konnte man nicht beurteilen, ob er durch das Operationstrauma Gehirn- oder Nervenschäden davongetragen hatte. Seine linke Körperhälfte zeigte Lähmungserscheinungen. Er hatte eine Zwerchfellparese. Durch die ungewöhnliche lange Opiatgabe mußte er einen schrecklichen Entzug durchmachen. Zu allem Übel schnappte er sich den Influenza-A Virus auf und mußte erneut künstlich beatmet werden .....
Aber Jens hat sich aus dem tiefen Tal, in dem er sich befand, ganz langsam wieder hochgerappelt. Er war insgesamt zehn Wochen in der Klinik - davon acht auf Intensiv. Ein Zitat des Herzchirurgen, das diese zehn Wochen zusammenfaßt und mich auch ein wenig stolz macht: "Jens ist ein ganz besonderes Kind, denn es gibt nur sehr wenige, die so etwas überleben...."
Wegen des noch immer bestehenden AV-Blockes entschied man sich noch während des Klinikaufenthaltes, ihm einen Herzschrittmacher zu implantieren. Dies bedeutete damals zwar erneute OP mit Narkose und allem drum und dran, hat sich allerdings zwischenzeitlich als Segen erwiesen.
Mit folgender Perspektive wurden wir aus der Klinik entlassen: Ziel sei es, den Glenn zu einem späteren Zeitpunkt zu wiederholen. Dazu müsse der Pulmonalisdruck optimal sein, möglichst noch niedriger als beim ersten Mal. Das Banding um die Lungenschlagader könne nicht mehr enger gezogen werden. Der Druck in der Lungenschlagader - der glücklicherweise niedriger ist als befürchtet, aber eben noch nicht niedrig genug - könne nur weiter gesenkt werden, indem Jens wachse und gedeihe. Eine Lungenbiopsie zeige einen erhöhten Gefäßwiderstand in der Lunge, aber noch keine Gefäßerhärtung.
Inzwischen ist Jens schon vier Monate daheim und wir alle fühlen uns in unserem neuen Haus pudelwohl (während Jens im Krankenhaus lag sind wir ganz nebenbei noch umgezogen). Jens verbrachte einen infektfreien Sommer und wir haben den Eindruck, daß ihm der Herzschrittmacher die Möglichkeit gibt, sich nun auch körperlich zu entwickeln (er kann jetzt Bobby-Car fahren!). Er hat immerhin 1,5kg zugelegt und wiegt nun fast 9 Kilo. Spucken und Verstopfung gehören der Vergangenheit an. Er hat keinerlei Hirnschäden davongetragen und was er babbelt, ergibt jetzt schon fast einen Sinn. Er kann sogar seine Mama für ein paar Stunden entbehren, weil er anscheinend das Vertrauen in die Menschheit zurückgewonnen hat. Er hat sich zu einem richtigen kleinen Lümmel gemausert!
Aber ich will nicht verschweigen, daß es unendlich viel Zeit und Mühe gekostet hat, ihn soweit zu bekommen und wir alle wegen ihm auf so manches verzichten müssen, was für ,normale' Familien selbstverständlich ist.
Leider hat mit dem Herbst auch der Husten wieder Einzug gehalten. Wir inhalieren daher fleißig, haben die Situation aber einigermaßen unter Kontrolle.
In drei Wochen steht ein Kontrolltermin in der Uniklinik an, und irgendwie sagt mir mein Instinkt, daß die ihn Anfang nächsten Jahres wieder auf dem OP-Tisch sehen wollen .....
Wenn so eine Zeit, wie wir sie erlebt haben, spurlos an einem vorüberginge, wäre es wohl verschwendete Zeit. Ich habe viel erlebt und auch viel nachgedacht in dieser Zeit und möchte daher zum Schluß einige ganz persönliche Gedanken weitergeben:
Einige Eltern, denen eröffnet wurde, daß sie soeben ein Kind mit einem schweren Herzfehler geboren haben, haben mich gefragt, ob denn das Leben, was so ein Kind erwartet, lebenswert sei. Ich habe immer geantwortet: ,Solange ich Jens lachen und sich freuen sehe, weiß ich, daß er bei uns bleiben will. Letztendlich entscheiden weder die Ärzte noch die Eltern über sein Leben, sondern ganz allein er selbst. Das Leben mit einem solchen Kind ändert sich schlagartig und viele Zukunftspläne, die man vielleicht hatte, sind nicht mehr realisierbar. Das Leben verliert sozusagen seine Unschuld - durch die Dinge, die man auf der Intensivstation erlebt, wird man nie mehr so unbeschwert leben können wie zuvor. Aber wenn man sich darauf einläßt, wird man dadurch in ganz andere Dimensionen vordringen können und vielleicht etwas über den wirklichen Sinn des Lebens lernen.'
In meinen insgesamt fünf Monaten Intensiverfahrung mußte ich nicht nur immer wieder um mein eigenes Kind bangen, sondern auch tagtäglich das Leid anderer Eltern mitansehen, von denen einige ihre Kinder verloren haben. Ich habe schwer herzkranke Jugendliche beobachtet, die unter der psychischen Belastung, die so ein Herzfehler mit sich bringt, schier ausgeflippt sind. Und mußte leider feststellen, daß all diese Personen größtenteils alleine mit ihrem Schicksal fertig werden mußten und professionelle psychische Hilfe nicht vorhanden war. Ich bewundere nach wie vor die Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger, die versuchen, dieses Manko so gut wie möglich auszufüllen (für viele von uns Eltern ist die ,H3i' zum zweiten Zuhause geworden). Aber ehrlich gesagt glaube ich, daß viele von ihnen selbst psychische Unterstützung nötig hätten.
An dem Tag im März, an dem Jens auf dem OP-Tisch lag, wurde Serbien der Krieg erklärt. Jeden Morgen, als ich in die Klinik fuhr, hörte ich im Radio von Bomben, Gemetzeln, Vergewaltigungen ..... Und fand es absolut grotesk, daß einerseits Millionen ausgegeben werden, um Kindern mit ungewisser Zukunft ein Leben zu schenken, während anderswo ein Menschenleben keinen Pfifferling wert ist, ja wo man sogar noch Spaß daran zu haben scheint, andere Menschen sterben zu sehen. Aber daran wird sich wohl auch in Zukunft nichts ändern ....
Dies schrieb Annett, Mutter von Jens (*10.12.1997, hypoplastisches linkes Ventrikel, Mitralatresie, DORV)
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!">Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!