Alexandra

Long QT-Syndrom

 

 

Am 24.09.1998 wurde Alexandra geboren.

Nach einer dramatischen Reanimation (1/2 h!) bei uns zu Hause diagnostizierten die Ärzte:

 

Long QT-Syndrom

(LQTS)


Dabei handelt es sich um eine Störung des elektrischen Reizleitungssystems des Herzens. Die "mechanische" Funktion des Herzens funktioniert hingegen völlig normal. Die Störung wird durch einen Defekt in den Zellwänden der Herzmuskelzellen, den s.g. Ionenkanälen, ausgelöst. Diese defekten Zellen können bei Personen mit QT-Syndrom einen überschnellen Herzrhythmus auslösen, was zu einem Bewußtseinsverlust (Synkope) oder sogar zum Herzstillstand und somit zum Tod führen kann. Die Bezeichnung QT steht für ein elektrisches Zeitintervall im EKG, d.h. es ist die Zeit der Erregungsrückbildung, welche bei LQTS-Patienten verlängert ist: QT-Normalzeit: unter 440 Millisekunden.

 

Bei LQTS handelt es ich um eine Erbkrankheit. Wir Eltern haben aber unauffällige EKG-Befunde. Die genetische Untersuchung läuft nun schon seit sechs Jahren – bisher ohne Ergebnis. Fest steht nur, dass Alexandra die bisher bekannten LQTS-Typen nicht hat. Inzwischen gehen die Ärzte davon aus, dass Alexandra die Krankheit nicht vererbt wurde sondern dass es sich um eine spontane Mutation handelt.

 

Therapiert wird LQTS im allgemeinen mit Betablockern. In manchen Fällen ist auch die Implantation eines Schrittmachers bzw. ICDs notwendig.

 

*)Viele LQTS-Patienten haben dadurch eine niedrige Herzfrequenz – Alexandra liegt tagsüber zwischen 60-90, im Schlaf ging sie auch schon mal unter 50

 

Aber jetzt erst einmal von Anfang an:

 

Bereits in der Schwangerschaft lag ihre Herzfrequenz konstant unter dem „Normwert“. Unser Gynäkologe führte deshalb eine sehr gründliche Ultraschall-Untersuchung durch - konnte "organisch" jedoch nichts feststellen. Aufgrund von Komplikationen bei der Geburt (15 Tage Terminüberschreitung / Kaiserschnitt / Fieber bei der Mutter) verbrachte Alexandra die ersten 14 Tage ihres Lebens in der Kinderklinik, da sich bei ihr eine Sepsis entwickelt hatte. Dort wurde sie noch am Tag der Einweisung auf die Intensiv-Station verlegt, da sie stark bradykard geworden und auch die Sauerstoffsättigung auf knapp 65% gesunken war. Sie bekam Sauerstoff und wurde ausführlich untersucht (EKG/ ECHO). Nach drei Tagen durfte sie wieder auf die Normalstation. Auf unsere Fragen nach der Ursache meinte man nur lapidar, dass eine solcher HF-Abfall im Rahmen einer Sepsis vorkommen kann, das Antibiotikum aber gut anspreche und Alexandra bald nach Hause dürfe. Nach 14 Tagen Klinik-Aufenthalt wurde uns Alexandra als "kerngesundes" Kind mit nach Hause gegeben. Das auf der INTENSIV-Station der Kinderklinik geschriebene EKG zeigte eine QT-Zeit von 570 Millisekunden an. Leider hatten die Ärzte zum damaligen Zeitpunkt die verlängerte QT-Zeit übersehen.

Bereits fünf Tage später (am 19.10.1998) hatte sie eine Synkope = Der Alptraum aller Eltern: Das Baby röchelt, läuft blau an und dann ... nichts mehr. Nur die sofort begonnenen Wiederbelebungsversuche meines Mannes und das schnelle Eintreffen des Notarztes haben sie gerettet. Insgesamt wurde sie eine halbe Stunde wieder belebt – nach dem zweiten Elektroschock „war sie wieder da!“

 

 

 

Die Zeit in der Klinik war sehr schlimm. Alexandra war tief sediert, lag mit offenen Augen in Ihrem Bettchen und schaute „durch uns durch“. Dann stand noch die Aussage im Raum, dass sie evtl. schwere Hirnschädigungen haben könnte, da die Wiederbelebung doch über einen langen Zeitraum erfolgte. Nach 5 Tagen konnte man den ersten Hirnschall machen: KEINE ERHEBLICHE HIRNSCHWELLUNG! Wir wollten uns aber noch nicht zu große Hoffnungen machen und warteten das erste EEG ab. Das wurde zwei Tage später gemacht: ABSOLUT UNAUFFÄLLIG! Keinerlei Krampfpotentiale oder ähnliches. Wir und auch die Ärzte konnten es kaum glauben - vorsichtige Prognose: Ihr Kind wird sich vermutlich völlig normal entwickeln! Nach insgesamt 16 Tagen stand sie "wiederhergestellt" zur Entlassung an. Am Entlassungstag teilte uns der Stationsarzt (Gottlob ein Kinderkardiolge) mit, dass ihm an Alexandra´s EKG etwas aufgefallen sei. Er vermute ein spezielles Syndrom und wir sollten mit ihr in eine Fachklinik fahren ... der Professor dort sei ein Spezialist für diese spezielle Form der Herzerkrankung.

 

In dieser Fachklinik kam Alexandra auf der Intensiv-Station 4 Wochen lang an den Überwachungs-Monitor. LQTS wird mit Betablocker (Dociton) therapiert und Alexandra wurde in dieser Zeit medikamentös eingestellt. Dociton verhindert bei 80% der LQTS-Patienten den plötzlichen Herztod. Eine absolute Sicherheit gibt es somit nicht. Jede Aufregung, Anstrengung (rennen/schwimmen), jeder Schreck, Freude oder Angst ... also alles, was unser Herz schneller schlagen läßt, könnte im ungünstigsten Fall eine "Synkope" auslösen und ihren Tod bewirken. Auch ein Herzstillstand im Schlaf ist möglich. Es könnte .... es könnte aber auch sein, dass ein Leben lang nichts mehr vorkommt.

 

 

Wie lebt man mit diesem Risiko? Es ist sehr belastend! Die erste Zeit hatten wir ständig Angst, dass wieder etwas passieren könnte. Schlief sie mal etwas „länger“ hatten wir gleich ein komisches Gefühl. Mit der Zeit lernten wir aber, Alexandra loszulassen – sie besucht den Kindergarten und ihre Freundinnen wie jedes andere gesunde Kind auch. Der Kontakt zu anderen LQTS-Betroffenen hat uns in dieser Zeit sehr geholfen, mit Alexandras Erkrankung besser klar zu kommen. Konnten wir doch sehen, dass es doch tatsächlich Menschen gibt, die mit diesem „Herzfehler“ ein schönes, normales Leben führen, erwachsen werden und sogar Familien gründen ... das klingt jetzt vielleicht etwas sarkastisch ... aber direkt nach der Klinik-Entlassung lebten wir eigentlich von einem Tag auf den anderen, immer in der Angst, dass „ES“ wieder passieren könnte. Wir haben aber auch Familien kennengelernt, die bereits Kinder wegen LQTS verloren haben ...!

 

In regelmäßigen Abständen wurden Langzeit-EKGs geschrieben – immer mit dem gleichen Ergebnis: Alexandra´s QT-Zeit sei wirklich sehr lang. Zudem habe sie negative T-Wellen ... und habe schon eine T-Wellen-Alternans gezeigt. Das alles weise darauf hin, dass sie stark gefährdet sei, irgendwann wieder eine Synkope zu entwickeln. Auf ärztlichen Rat hin haben wir uns deshalb einen externen Defibrillator angeschafft, den wir – wenn möglich – im Rucksack immer dabei hatten.

 

Mit Alexandra´s wachsender Selbstständigkeit – sie wird im Sommer 2005 eingeschult – holten uns unsere Ängste wieder ein. Zudem äußerte sich Alexandra zweimal in die Richtung, dass „sie ihr Herz bis in den Kopf gespürt habe“. Das trug auch nicht unbedingt zu unserer Beruhigung bei. Wir kannten eine Familie, deren Tochter bereits ein ICD implantiert worden ist und so fuhren wir nochmals in unser Herzzentrum um „nachzuhaken“. Ergebnis: Alexandra sei stark gefährdet – von einer ICD-Implantation rate man uns aber ab, da diese zu viele Nebenwirkungen und Risiken mit sich bringe. Man riet uns, mit dem ICD zu warten, bis Alexandra groß genug sei (so mit 15 Jahren) bzw. zu warten, bis wieder „etwas“ passiert. Der Grund leuchtete uns auch ein, da die uns bekannte transvenöse Implatation eines ICD bei einem Kind aufgrund der Elektroden-Größe nicht oder mit erheblichen Risiken möglich ist. Trotzdem: Die immer wieder – von verschiedenen Ärzten - gehörte Aussage, „warten sie ab, bis wieder etwas passiert“ ging uns nicht mehr aus dem Kopf. Ehrlich gesagt fanden und finden wir diese Aussage bis heute mehr als makaber. Wer sagt denn, dass sie beim „nächsten Mal“ nicht sterben oder ein Leben lang behindert bleiben wird?! Diese Meinung teilte unser Kinderkardiologe „vor Ort“ und er unterstützte uns dabei, weitere Meinungen einzuholen.

 

Er schickte uns noch in eine weiteres Herzzentrum. Das Gespräch dort war eher ernüchternd: Alexandra´s erste Wiederbelebung könne man – Zitat: „... nicht werten, da sie ohne Betablocker-Therapie erfolgt sei!“ Außerdem sah man das Risiko dort nicht als so gravierend. Man riet uns, einen Event-Recorder implantieren zu lassen. Sollte dieser Tachykardien dokumentieren, sähe der Fall natürlich anders aus. „Aber so sei ja jetzt fast 5 Jahre nichts mehr passiert.“ Wir entschieden uns zu diesem Schritt. Erste Zweifel kamen beim ersten Auslesen des Recorders auf. Erst da realisierten wir, dass das Gerät darauf programmiert war, erst ab einer Herzfrequenz von 210 Aufzeichnungen zu machen. Da Alexandra normalerweise eine Herzfrequenz von 60-90 hat, konnten wir uns nicht vorstellen, dass sie bei einer Herzfrequenz von 210 noch auf ihren Beinen steht – und DAS würden wir auch ohne diesen Recorder bemerken. Aber der Recorder war nun implantiert und wir „vertagten“ weitere Entscheidungen vorerst .... bis zum 23.09.2004. Es war der Abend vor Alexandra´s 6. Geburtstag, als uns ein verzweifelter Vater anrief. Seine zweijährige Tochter habe auch LQTS und hätte die erste Synkope beinahe nicht überlebt. Sie liege nun im Wachkoma. Im Verlaufe des Gespräches erfuhren wir, dass dem ZWEIJÄHRIGEN Mädchen ein ICD implantiert worden ist. Ein Herzzentrum habe ihr das ICD-Aggregat in den Bauchraum und die Schockelektrode HINTER das Herz gelegt. Das hatten wir vorher noch nie gehört. Diese OP-Methode hätte den riesigen Vorteil, dass im Herzen keine Kabel/Elektroden liegen, also alle uns bekannten Risiken in diesem Fall gar nicht zum Tragen kommen würden. Wir vereinbarten sofort einen Termin in diesem Herzzentrum. Dort bekamen wir zu hören, dass Alexandra stark gefährdet sei, wieder eine Synkope zu entwickeln. Wir wurden sehr freundlich und ausführlich über diese neue Art der OP aufgeklärt. Der Arzt teilte uns im Verlaufe des Gespräches mit, dass er diese OP-Methode von einer anderen Klinik übernommen habe. Auf der Fahrt nach Hause wussten wir gar nicht, was wir fühlen sollen: Einerseits Begeisterung (Endlich eine Möglichkeit, unser Kind zu schützen) – andererseits Unsicherheit (Warum wissen andere Zentren von dieser OP-Methode nichts?). So entschieden wir uns dazu, die im Gespräch genannte Klinik zu kontaktieren und dort noch einmal nachzufragen. Der verantwortliche Professor gab bereitwillig Auskunft. Auch er stufte Alexandra als stark gefährdet ein. Er setzte sich umgehend mit unserem hiesigen Kardiologen in Verbindung. Gemeinsam entschieden wir uns dann für die OP. Alexandra wurde keine 10 Tage später operiert. Da der ICD auch einen Schrittmacher beinhaltet, konnte man die Docition-Dosierung verdoppeln, da er bei einer durch den Betablocker verursachten zu niedrigen HF eingreifen kann. (Eine höhere Dociton-Dosierung bedeutet einen noch „höheren Schutz“.)


Die OP an sich ist sicherlich belastender als die „transvenöse“ Implantation, da der Brustkorb etwas geöffnet wird. Alexandra hat aber alles gut „weggesteckt“. Im Alltag stört sie der ICD überhaupt nicht. Eine Freundin äußerte sich neulich über ihr „blödes Gerät...“ – Alexandra´s Antwort: „Ich brauche das und bin froh dass ich es habe, es ist gar nicht blöd.“ Auch sonst geht sie mit ihrer Erkrankung ganz selbstverständlich um. Sie kennt ihre Grenzen, nimmt tapfer ihre Medikamente, etc.! Wenn ich da an unsere Sorge am Anfang denke! Für sie ist ihre Krankheit etwas, was der liebe Gott eben falsch gemacht hat, „sowie bei Oma“ (diese hat Diabetes) – Zitat: „Dafür habe ich schöne dicke Haare!“

 

Im Januar 2005 wurde der ICD getestet und ausgewertet. Die Testung verlief ohne Probleme und brachte ein sehr gutes Ergebnis.

 

Für Alexandra´s Zukunft sind wir sehr dankbar, dass sie nun dieses „Netz unter dem Drahtseil“ hat. Wie belastend die ganze Situation vorher war, realisiert man wirklich erst, wenn diese Belastung auf einmal wegfällt.

Markus, Claudia
& Alexandra Löffler

Murgstr. 29
76479 Steinmauern
Telefon: 07222/154915
Telefax: 07222/154914

 

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